Raff, Joachim

Oktett op. 176

für 4 Violinen, 2 Bratschen und 2 Violoncelli, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ries & Erler, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 12/2004 , Seite 83

Felix Mendelssohn Bartholdys Oktett für Streicher gilt als Urahn einer Reihe von gleichartig besetzten Werken frühromantischer bzw. klassizistischer Komponisten im 19. Jahrhundert. Bevor sich die (Spät-)Romantiker dem dunkler timbrierten und weniger violinlastigen Streichsextett zuwandten, entstanden in Mendelssohns Nachfolge eine Reihe von Oktetten für vier Violinen, zwei Bratschen und zwei Violoncelli, die jedoch vom Charakter her zumeist wenig mit dem streicherbegleiteten „Violinkonzert“ des Opus 20 von Mendelssohn gemein haben. So stellt beispielsweise Louis Spohr in seinen Doppelquartetten schon im Titel klar, was Spieler und Zuhörer (strukturell) zu erwarten haben.
Auch Joseph Joachim Raff findet in seinem Streichoktett eine andere Lösung: Sein Opus 176, 1872 und damit zehn Jahre vor seinem Tod entstanden, scheint die orchestrale Aufweitung des Streichquartettsatzes zum Ziel zu haben. Über weite Strecken dominieren Verdopplungen in den beiden Violinpaaren, dem Bratschen- und dem Violoncellopaar das musikalische Geschehen. Das verleiht der Struktur Fülle und Kraft und zugleich Überschaubarkeit. Die erste Violine dominiert vergleichsweise selten, und auch die Emanzipation des ersten Violoncellos über der vom zweiten Cello gestalteten Basslinie vollzieht sich nur in ganz wenigen Ausnahmefällen. Raffs „Achter“ lebt von kraftvoller Dynamik und Motorik insbesondere in den drei raschen Sätzen. Dabei spielen Tonrepetitionen und Läufe eine entscheidende Rolle, während sich das Werk im melodischen Erfindungsreichtum eher zurückhält. Wie vieles im Œuvre des äußerst „fleißigen“ Joseph Joachim Raff verdient auch das Steichoktett in C-Dur zunächst einmal das Prädikat einer sehr soliden handwerklichen Arbeit. Dennoch: Raffs Oktett ist ganz gewiss eine Bereicherung des nicht gerade umfangreichen Repertoires für diese doppelte Streichquartettbesetzung – möglicherweise mag es sogar unter den Bögen eines Streichorchesters eine gute und harmonische Figur zu machen; die fast stets parallel geführten Cellostimmen lassen durchaus an den Einsatz eines Kontrabasses denken. Technisch bewegen sich alle acht Stimmen eher in den Bahnen, die die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgegeben hat, sodass auch von dieser Seite her nichts gegen eine weitere Verbreitung des hier vorgelegten Werkes spricht.
Bei der im Verlag Ries & Erler erschienenen Ausgabe der Partitur und der acht Einzelstimmen handelt es sich um einen Reprint einer älteren Ausgabe – ob aus dem Entstehungsjahrhundert des Oktetts, muss dabei mangels Angaben ungeklärt bleiben. Der im allgemeinen sauber und übersichtlich gesetzte und mit ganz wenigen Ausnahmen gut lesbare Notentext wurde vom Verlag ohne Vorwort oder weitere Angaben veröffentlicht – eine Unterlassung, die bei den gesparten Ausgaben für einen neuen Notensatz nicht recht erklärbar ist.
Daniel Knödler