Hummel, Bertold

Offenbarung neuen Lebens

Adventskantate für Alt solo, gemischten Chor und Kammerorchester op. 8, Partitur / Klavierauszug / Solostimmensatz

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 75

Es sind der Gregorianische Choral und das Kirchenlied gleichermaßen, die die Kirchenmusik Bertold Hummels bestimmen. Am 27. November 1935 im badischen Hüffingen geboren, prägte das sonntägliche Orgelspiel des Vaters die Tonsprache des späteren Würzburger Kompositionslehrers: Kirchenmusik als Liturgische Musik lag ihm sein ganzes Leben lang sehr am Herzen.
Im Widerstreit mit den Reformbestrebungen der Liturgie-Erneuerer beharrte Hummel darauf, dass sich gerade die Kirchenmusik an der Qualität des vergangenen Zeitstils orientieren muss. In seinem Referat Der Sinn der Welt im Gotteslob, gehalten in Bonn 1979, ging er hart mit dem Zustand der zeitgenössischen Kirchenmusik ins Gericht, in der die „klassische Polyphonie für ein Linsengericht geopfert“ werde. In seinen musikästhetischen Vorstellungen war Hummel kompromisslos. Die „moderne“ Kirchenmusik verurteilte er als Gebrauchsmusik auf „Kunstgewerbeniveau, die das rechte Maß von ‚Raum und Zeit‘“ (also das Gleichgewicht von Rhythmik, Melodik und Harmonik) verloren habe.
Ist Hummel also ein kompromisslos rückwärtsgewandter Tonsetzer, der allein das Überkommende zu bewahren sucht? Nein, so radikal wie in seinen theoretischen Äußerungen zeigt er sich in seiner frühen Adventskantate Offenbarung neuen Lebens nicht. Die Kantate ist ein Auftragswerk des Südwestfunks, uraufgeführt in der Radioandacht zum 1. Advent am 29. November 1953. In sechs Abschnitten, zwischen denen während der Uraufführungen Texte zum Advent verlesen wurden, verarbeitet Hummel barocke Adventsgesänge (Aus hartem Weh die Menschheit klagt, Nun jauchzet all ihr Frommen, Gloria sei dir gesungen) und stellt ihnen Psalm- und Bibelsprüche aus dem 1950 vorgelegten Deutschen Psalter entgegen.
Dabei erlebt man Hummel als einfühlenden Bearbeiter. Die modernen seriellen Techniken lehnt er zwar ab, da er das Primat der Technik nicht über den musikalischen Ausdruck stellen mag. Die Ausdruckstiefe dieser Adventskantate nimmt auch nach mehr als fünfzig Jahren immer noch gefangen. Die lebhafte Rhythmik und die harmonischen Ausschweifungen machen den Satz dicht, aber immer noch durchhörbar. Hummel achtet auf die Nuancen der Textvorlage. Da stört auch sein Rückgriff auf barocke Formen wie die der Passacaglia wenig. Er wärmt nicht die Musikgeschichte wieder auf, im Gegenteil, solche Reminiszenzen ergeben sich wie zwangsläufig aus dem Werk selbst.
Die Offenbarung neuen Lebens ist eine spannende Kantate, geschaffen in einer Zeit des Suchens nach neuen Ausdrucksformen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die aber bis heute nichts von ihrer Vitalität und Aktualität verloren hat.
Markus Roschinski