Oboe und Harfe

Werke von Henriette Renie, Maurice Ravel, Henri Tomasi, Witold Lutoslawski, Jacques Ibert u. a.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Christophorus CHR 77273
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 93

Musik für Oboe und Harfe präsentiert der Christophorus-Verlag auf einer neuen CD. Gunter Sieberth (Oboe) und Volker Sellmann (Harfe) schließen bewusst an alte Traditionen an, gehören doch diese beiden Instrumente zu den ältesten überhaupt. In dieser Art der in physikalischer Hinsicht geradezu archaisch-primitiven Klangerzeugung – so im Begleittext zu lesen – sehen die beiden Musiker das Faszinosum dieser Kombination. Aus dem reizvollen Repertoire haben sich Sieberth und Sellmann Werke vom Hochbarock über die Kabinettstückchen des 19. Jahrhunderts bis hin zum französischen Impressionismus zusammengestellt, teils Originale, teils Bearbeitungen.
Insbesondere in den impressionistischen Werken brillieren die Instrumente aufs Beste. Die langen Kantilenen der Oboe, unterstützt von sanften Harfenklängen, ergeben ein wunderbares Flair, zumal Sieberth und Sellmann in Bezug auf Dynamik und Agogik recht perfekt ausbalanciert sind. So geraten die Kompositionen von Maurice Ravel (Pièce en forme de Habanera), Henri Tomasi (Le petit chevre corse) und das famose Entr’acte von Jacques Ibert zu rechten Schmankerln für Herz und Ohr. Auch im nahezu metaphysischen Magia von Witold Lutoslawski zeigen sich die Musiker ganz in ihrem Element.
An dieses Niveau können die hochbarocken Werke dieser CD nicht anknüpfen. Die einleitende Sonate in g-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach zeigt im langsamen Satz die Fähigkeit des Oboisten zur Gestaltung langer Phrasen – auch manch schöne Verzierung ist zu hören –, die schnellen Sätze verlieren jedoch aufgrund der harten und unflexiblen Artikulation der Oboe gänzlich den Charakter von Sturm und Drang. Die Harfe könnte insbesondere mit stärkerer Hervorhebung des Basses weit mehr als nur dekorativ sein. Die Sonate in C-Dur von Jean Bapiste Lœillet wird von den Musikern durchaus hörbar, jedoch sehr romantisch interpretiert.
Zwei Opernparaphrasen von Gioacchino Rossini (aus Tancredi) und Frédéric Chopin (aus Rossinis La Cenerentola) musizieren Sieberth und Sellmann voller Witz und Spielfreude. Hier dominiert Sieberth mit ebenso luzider wie formidabler Virtuosität. Im langsamen Satz in f-Moll aus einem verschollenen Oboenkonzert von Gaetano Donizetti demonstriert Sieberth ein weiteres Mal seine Vorliebe für lange Kantilenen, die er mit schier unendlich langem Atem und rundem, weichem Ton zu gestalten weiß. Das spätromantische und hinreißend schön gespielte Près d’un berceau von Henriette Renie ist in eben diesem Geiste musiziert und rundet diese Aufnahme mit Raritäten für Oboe und Harfe ab.
Marie-Theres Justus-Roth