Nur nicht aus Liebe weinen

Die großen Damen des deutschen Chansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: GDC 21 071835 79
erschienen in: das Orchester 07-08/2004 , Seite 81

„Lesers Vorverdautes“: So übersetzten wir in den 80ern als Jugendliche spöttisch „Reader’s Digest“ und hatten dabei vor allem die muffigen Heftchen im Blick, die gerne in Wartezimmern und beim Friseur auslagen. Doch nun macht der Verlag Das Beste, der die Reader’s Digest-Reihe herausbringt, seinem Namen alle Ehre: fünf CDs mit den „großen Damen des deutschen Chansons“, mehr als sechs Stunden Musik von Alexandra bis Zarah Leander. Ob Claire Waldoff oder Marlene Dietrich, Ilse Werner oder Hildegard Knef, Lale Andersen oder Caterina Valente: Alles, was Rang und Namen hat im deutschen Chanson, ist hier vertreten. Doch nicht nur das, viele weitere Sängerinnen, deren Namen nicht mehr jedem geläufig sein werden, geben sich hier auf dieser CD-Kompilation der Superlative ein Stelldichein.
Der Begriff „Chanson“ ist recht weit gefasst und reicht vom Schlager (Willst du mit mir gehn) bis zu den Songs von Brecht/Weill (Surabaya Johnny). Chronologisch ist das gesamte vergangene Jahrhundert vertreten – von den frühen Liedern Claire Waldoffs (Hermann heeßt er, 1915) bis zu Milva (Wenn der Wind sich dreht, 1988). Musikalisch ist eine solche „Elefantinnen-Parade“ natürlich über alle Kritik erhaben. Und dem Problem, eine wie auch immer geartete Auswahl inhaltlich begründen zu müssen, entging Reader’s Digest durch schiere Masse. Die Frage, ob hier noch etwas fehlen könnte, stellt sich bei dieser Highlight-Orgie somit erst gar nicht. Was jedoch fehlt, ist eine gründliche Hintergrundinformation über die Kulturgeschichte des deutschen Chansons und ausführliche Biografien aller Sängerinnen (nur eine Auswahl der bekanntesten wird vorgestellt). Hier wurde eine große Chance vertan, diesem musikalischen Großprojekt eine entsprechende inhaltliche Unterfütterung angedeihen zu lassen. Ein Anspruch, der jedoch an einen „Fast-Food-Verlag“ wie Reader’s Digest wohl nicht gestellt werden darf. So bleibt zum Schluss nur eines: Augen zu und genießen, wie einem noch immer bei Alexandras Mein Freund, der Baum eine Gänsehaut über den Rücken läuft…
 
Rüdiger Behschnitt