Antonín Dvořák

Nocturne H-Dur für Streichorchester op. 40

Urtext, hg. von Jonáš Hájek, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 9/2023 , Seite 66

Würde man dieses Stück hören, ohne zu wissen, wer der Komponist ist, käme wohl kaum jemand auf die Idee, dass es sich hierbei um eine Komposition von Antonín Dvořák handelt. Auch die Besetzung und die Faktur lässt stilistisch keinerlei Schlüsse auf die später entstandene, berühmte Streicherserenade op. 44 zu. Vorliegendes Nocturne H-Dur, das mit der Werknummer 40 erst 1883 in Berlin gedruckt und im März 1884 in seiner endgültigen Gestalt aufgeführt wurde, ist im Gegensatz zu früher derzeit wenig im kulturellen Gedächtnis präsent.
Ferner wird im Vorwort erwähnt, dass das Nocturne nicht als Einzelkomposition angelegt, sondern ursprünglich Teil eines wohl 1870 komponierten Streichquartetts e-Moll war, „dessen musikalische Substanz auf Umwegen zum Kern des sehr ‚undvořákschen‘ Nocturne für Streichquintett wurde“. Die schnellen Sätze hatte Dvořák zwar vernichtet, aber nicht das Andante religioso, was er wohl sehr geschätzt haben muss. Auffällig ist hierbei der ungewöhnliche, lang andauernde Orgelpunkt von insgesamt 24 Takten auf dem Dominantton fis in der Violoncello-Stimme, welche fast die Hälfte der Gesamttaktzahl des Stücks einnimmt. Dieser soll durch den entstandenen Schwebezustand eine sichere Stabilität innerhalb des Harmoniegefüges verhindern. Zusammen mit dem wortwörtlichen Verlauf der Harmonik aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg, woraus Dvořák ein stimmungsvolles Rendezvous zweier Liebenden in einer lauen Nacht zitiert, ist es eine musikalische Reminiszenz an Richard Wagner, den er in den 1870er Jahren sehr verehrte.
Und gerade diesen Satz übernahm er später für ein neues Streichquintett in G-Dur, das schließlich – wohl nach 1879 – den Titel Nocturno erhielt. Ende 1883, erst kurz vor der Veröffentlichung, soll das Nocturno für Streichorchester dann endlich seine endgültige Form erhalten haben. Die Chronologie ist bis heute nicht geklärt, zumal es davor noch Bestandteil des Streichquintetts gewesen war. Dieses wurde dann jedoch ohne den ursprünglichen zweiten Satz 1888 veröffentlicht, was die „unabhängige Existenz des Nocturne“ verfestigte. Die komplizierte, aber spannend zu lesende Werkgenese kann man im Vorwort des Herausgebers Jonás Hájek nachlesen.
Tatsächlich besteht das etwa sechsminütige Nocturne nur aus 51 Takten auf fünf Seiten Notentext. Es scheint aber wegen des 12/8-Takts im Zeitmaß „Molto adagio“ länger zu sein. Kurioserweise kommt das Vorwort und der lediglich in englischer Sprache verfasste Kritische Bericht mit seinen Quellenangaben und den Einzelanmerkungen auf insgesamt zwölf Seiten. Partitur und Stimmen sind, wie stets vom Verlag Bärenreiter gewöhnt, in sauberem Druck und exzellent lesbar. Werner Bodendorff

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support