Corbett, Sidney

Noach

Oper in neun Bildern

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Kreuzberg kr 10087, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 06/2005 , Seite 80

Zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau, wollen ein zum Abbruch freigegebenes Haus besetzen und stoßen in dem vermeintlich leer stehenden Gebäude auf einen uralten Mann. Als er ihnen erzählt, er sei Noah – eben jener Noah, der mit einer Arche die Sintflut überlebt hat –, ist der Spott zunächst groß. Doch es stimmt: Gott lässt den alten Mann nicht sterben, weil er ihm nicht ins Gesicht sehen kann. Zu oft hat er Hoffnungen auf eine bessere Welt enttäuscht, hat Kriege und Seuchen auf die Menschheit losgelassen. „Gott ist ein Narr“ und die Menschen sind nicht zu bessern, so die Erkenntnis Noahs oder Noachs, wie er hier genannt wird. So bleiben alle Versuche, das lebendige Überbleibsel aus der Bibel loszuwerden, vergebens: Noah bleibt an seinem Platz und er wird noch sehr lange dort bleiben.
Ist dies der Stoff, aus dem Opern gemacht sind? Sidney Corbett, 1960 in Chicago geboren und Schüler Ligetis, hat diese Frage für sich bejaht. Er stieß auf das Sujet in einer Kurzgeschichte des Schriftstellers Christoph Hein. Noach, Oper in neun Bildern, entstand im Auftrag des Bremer Theaters und erlebte dort am 19. Oktober 2001 ihre Premiere; die Uraufführung ist auf der vorliegenden CD dokumentiert. Corbett gliedert seine zweistündige Partitur in drei ineinander verwobene Zyklen: „Sinfonien“ – rein orchestrale Zwischenspiele, „Kammermusiken“ – solistisch besetzte Passagen zur Begleitung der gesungenen Handlung, und die überwiegend vokalen „Auftritte des Herrn“, der durch einen Chor personifiziert ist. Die Musik der Oper bildet in sich ein Paradoxon: Einerseits dominiert lyrische, ausgesprochen sängerfreundliche Melodik; tonale Zentren tauchen immer wieder wie von Ferne auf, ohne dass der Schritt in die traditionelle Dur-Moll-Tonalität vollzogen würde. Auch ein konservatives Publikum dürfte von Corbetts milde irisierender Klangsprache wohl kaum verschreckt werden.
Andererseits gibt es wohl kaum eine undramatischere, theaterfernere Musik als diese Partitur – dynamisch verbleibt sie im piano-Bereich, eine spürbare Entwicklung findet nicht statt, vor dem geistigen Auge entsteht das Bild einer stetig langsam um sich selbst drehenden Statue. Nun mag Corbetts demonstrativ introvertierte Musik durchaus dazu tauglich sein, die surreale Atmosphäre des Librettos verstärkend zu unterstützen. Doch es wird einem die Zeit beim Hören schon sehr lang.
Die Sängerbesetzung des Bremer Theaters meistert die nicht geringen Ansprüche des Werks mit Bravour; besonders gilt dies für die beiden Protagonisten, Katharina von Bülow als die junge Barbara und Clemens C. Löschmann als Noach – auch wenn es schwer fällt, diesem agilen Tenor den steinalten Mann abzunehmen. Das Beiheft enthält das gesamte Libretto, ist jedoch in so kleiner Schrift gedruckt, dass die Anschaffung einer Lupe zu empfehlen ist.
Thomas Schulz

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