Niklas Eppinger

Werke von Zoltán Kodály, György Ligeti und Miklós Rózsa

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Aulos AUL 66158
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 67

„Wolken und Uhrwerke“ – ein Begriffspaar, das György Ligeti verwendete, um metaphorisch die kontrastierenden Sphären seiner Musik zu umreißen: hier eine rhapsodische, amorphe, scheinbar unstrukturierte Klangwelt, dort das rhythmisch exakt fixierte Perpetuum mobile. Und obwohl sich Ligeti nach seiner Flucht aus Ungarn 1956 von jeglichem Post-Folklorismus ferngehalten hat, tradiert er in der „Wolken/Uhrwerk“-Idee eine Konzeption, die Brücken schlägt zur Volksmusik seiner Heimat. Dieses binäre Strukturmodell verweist auf die mutmaßlich aus Indien stammenden Wurzeln ungarischer Musik, es lässt sich ebenso in der teils salongerecht geglätteten Zigeunermusik ausmachen und findet schließlich manch kongeniale Umsetzung in den Werken der „großen Drei“ des frühen 20. Jahrhunderts: Dohnányi, Bartók und Kodály.
Verbindungslinien, die im Booklettext der vorliegenden CD plausibel dargelegt werden und interessante Höreinstiege bieten: Niklas Eppinger widmet sein Recital ausschließlich ungarischen Komponisten und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf idiomatische Gemeinsamkeiten in den Werken von Kodály, Ligeti und Miklós Rósza. Kodálys Solosonate op. 8 (1915) entstammt der frühen Reifezeit des Komponisten und bildet insofern einen Markstein, als sie sich auf die barocke Tradition solistischer Cellomusik – insbesondere die Suiten Bachs – bezieht, zugleich aber Anforderungen stellt, an denen sich alle Cellokompositionen der Folgezeit orientierten. Ligetis Solosonate aus dem Jahr 1953 verweist auf Bachs immanente Polyfonie ebenso wie auf die Welt Kodálys und zeigt einen Komponisten auf der Suche nach der eigenen Sprache. Verglichen mit diesen gewichtigen Werken nimmt sich Miklós Rószas Toccata Capricciosa wie eine unterhaltsame, effektvolle Etüde aus. Ebenfalls etüdenhaft, jedoch mit entschieden geringerem Unterhaltungswert gesegnet, kommt Kodálys selten gespieltes Capriccio daher: Zum Thema Oktaven bietet kaum eine der großen Etüdensammlungen Unangenehmeres!
Niklas Eppinger gehört zu den erfolgreichen Newcomern der Cellistenszene. Nach Studien unter anderem bei Julius Berger und William Pleeth, Wettbewerbssiegen in München und Maryland/USA sowie zwei Jahren als Solocellist der Münchner Philharmoniker wirkt er heute als Professor an der Musikhochschule Würzburg und geht einer weltweiten Solistenkarriere nach. Für ihn, so urteilte ein Kritiker der FAZ, gebe es offensichtlich keine Schwierigkeiten, sondern lediglich Herausforderungen. Apropos Kritiker: Einen Mann, der so spektakulär Cello spielt und gewaltige Energien in die Beherrschung dieses ruppigen Instruments steckt, ernsthaft bekritteln zu wollen, wäre doch ein wahres Unding. Erst mal nachmachen! Dennoch: In Eppingers souveränem Spiel herrscht eine Atmosphäre permanenter Hochspannung, ein durchdringender sportiver Geist, gekoppelt mit einem durchweg rauen, kernigen Ton, der uns „undankbare“ Hörer nach einer knappen Stunde Cellomusik ebenso beeindruckt wie ermüdet zurückzulassen vermag.
Gerhard Anders