Ulrich Holbein

Nie wieder unmusikalisch!

Funkenflug und Katzenfugen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Dohr
erschienen in: das Orchester 01/2024 , Seite 63

Was kommt heraus, wenn sich ein Schriftsteller mit der Musik in all ihren Facetten befasst? Die Antwort gibt das Buch von Ulrich Holbein, in dem der Autor einen virtuosen Streifzug durch Töne und Worte präsentiert, launig, kunstvoll und voll hintergründigem Humor – etwa wenn es um seine Bekanntschaft mit dem Konzertsaal geht. „Mein erstes Konzert ließ mich weitgehend kalt“, erinnert sich Holbein. „Lags an fehlender Musikalität meinerseits oder an Bruckner? Hatte ich den Zugangscode noch nicht geknackt?“ Der Abend wird für den jungen Mann zu einem zwiespältigen Erlebnis: „Nichts gegen Musik, aber eigentlich hatte vorhin das Instrumentenstimmen, jenes plastisch ineinanderwebende, durcheinanderfließende Gewoge sich durchdringender, berauschender, schöner angehört, als nun das abgespulte offizielle Musikprogramm.“ Erst nach einer juckenden Wade und dem „Endlosgedröhn“ des Orchesters macht Holbein seinen Frieden mit dem Erlebten: „Für ein paar Augenblicke vergaß ich sogar meinen geräuschhaften Körper und alle Störeffekte rundherum und fühlte mich durchflossen von Musik.“
Und Musik durchfließt auch die Texte, die Holbein in seinem Büchlein versammelt – Texte, in denen er sich auf höchst abwechslungsreiche Weise mit der Welt der Töne befasst. Es geht um den Unterschied zwischen Geräuschen und Musik, um Holbeins unerfüllte Sehnsucht nach dem Cello, um gequälte Musiker, musikalische Orgasmen und den Zusammenhang zwischen Musik und Philosophie. Holbein fragt sich, warum Komponisten so früh sterben, er durchforstet augenzwinkernd die Musik fremder Kulturen und fragt sich, ob Mitpfeifen etwas mit Musik zu tun hat oder eher mit Lippenbewegung.
All das ist bunt und kurios, eine Mixtur aus Essays, Beobachtungen, Anekdoten und Dialogen, sprachlich geschliffen und oft sehr humorvoll – wenn Holbein etwa erzählt, wie er bei einem ARD-Nachtkonzert den Barockkomponisten Gaetano Brunetti kennen und schätzen lernt und beim nächsten Nachtkonzert felsenfest überzeugt ist, den Brunetti-Sound zu erkennen: „Ich hätt mich foltern lassen für meine Brunetti-Evidenz, hätte sonstwas verwettet, wenn’s nicht Brunetti gewesen wär […] und plötzlich kam die Absage und da war’s Haydn.“
So entsteht nach und nach ein großes Panorama, das oft Genregrenzen überschreitet. Und dennoch bleibt die Musik, die Musikalität der rote Faden, der sich durch die Texte zieht – Texte, die unterhalten und nachdenklich machen, die Fragen stellen und oft wunderliche Antworten geben. Insgesamt ist Ulrich Holbeins Buch ein schillernder Spaziergang durch Klänge und Töne, bei dem Musik und Literatur ganz nah zusammenrücken.
Irene Binal