Werke von Federico Albanese, Paul Frick, Matthew Herbert und anderen
Neue Meister Live in Berlin
Deutsches Kammerorchester Berlin
Im Herbst 1989 im Geist der Wiedervereinigung gegründet, entwickelte sich das Deutsche Kammerorchester Berlin innerhalb eines Vierteljahrhunderts zum Botschafter der nachdrängenden Künstlergeneration. Das Doppelalbum dokumentiert Werke von neun jungen, in Berlin tätigen Komponisten verschiedener Herkunftsländer: Mitschnitte aus drei Konzerten, die 2016 im Drive. Volkswagen Group Forum unter wechselnder Leitung stattfanden.
Das Orchestermanagement wäre allerdings gut beraten, den Meistertitel nicht zu entwerten. Gefälliges Sounddesign, simple Schablonenarbeit und wolkige Stimmungsräusche klingen eher nach Zauberlehrlingsarbeit. Und wer aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus dem Schaffen wirklicher Meister aufs Rad minimalistischer Repetitionsmechanik flicht, der sollte sich lieber nicht mit ihren Namen schmücken.
Immerhin lässt die Kollektion ästhetische Höhenunterschiede erkennen. Als Wechselspiel zwischen einem Wurlitzer Elektroklavier und einem modernen Konzertflügel, die vom Orchester fragil umhüllt einander echoartig reflektieren, sind Johannes Motschmanns Echoes and Drones originell erdacht. Weniger inspiriert wirken die Shadowland Suite des Italieners Federico Albanese, die wiederholungsselige Piano-Schleifen mit ambient-artigen Streicherklängen umwölkt, und die minimalistische Klangstudie Neihou seines Landsmanns Francesco Tristano, die Klavier und Synthesizer mit Live-Elektronik versöhnt.
Mit Hilfe einer Frauenstimme züchtet Fabian Russ in Black is the Colour Hybride aus Klassikabfall und elektronischen Anmutungen. Erfindungsarm auch die Metal Zone von Paul Frick, doch gewinnt sie durch einen gewissen Drive und kesse Rhythmik. Die Bach Dreams, denen sich der Engländer Ben Palmer hingibt, sind wabernd vervielfältigte Beutestücke aus Bachs Johannespassion (Eingangschoral), dem fünften Brandenburgischen Konzert und der Partita Nr. 3 E-Dur für Violine solo (Präludium).
Welch ein Lichtblick gegen Ende der Sammlung! Die Wanderungen, die Gilad Hochman in seiner konzertanten Fantasie Nedudim für Mandoline und Streichorchester unternimmt, erreichen endlich den ersehnten künstlerischen Höhenpfad. Umsiedlungs- und Exilerfahrungen bedingen ein ortloses, (t)raumhaftes Zeitgefühl, das wie der Israeli in einem Werkkommentar andeutet von der Wüstenlandschaft um Jerusalem herrührt. Anklänge jüdisch-arabischer Melodik über einem bedächtigen, auf nur zwei Akkorde gestützten harmonischen Rhythmus führen die vielschichtige Klangreise ins Grenzenlose.
Wiewohl aus konkreten Umweltgeräuschen gewonnen, ist die Hörszene Further für Kammerorchester und Live-Elektronik von Matthew Herbert dem vorgenannten Stück sinnesverwandt. Den Konzertsaal durchwandernd, lassen die Musiker mit wassergefüllten Flaschen und Pfeifen von Rettungswesten die Not der Bootsflüchtlinge hören, bevor ihr Schlusschoral in O-Ton-Samples einer Rettungsaktion versinkt.
Lutz Lesle