Claudius Böhm

Neue Chronik des Gewandhausorchesters

2. Band: 1893-2018

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Kamprad
erschienen in: das Orchester 09/2019 , Seite 58

Nachdem im vergangenen Jahr in einem ersten Band die Jahre 1743 bis 1893 behandelt wurden, ist nun der ergänzende zweite Teil der opulenten Veröffentlichung erschienen, der bis zur Gegenwart reicht. Damit vervollständigt sich eine profunde Gesamtdarstellung der Geschichte nicht nur des Gewandhausorchesters und seiner Kapellmeister, sondern auch der Leipziger Musikgeschichte schlechthin.
Claudius Böhms Chronik wird eingerahmt von zwei „Jubiläen“: dem verspätet gefeierten 150. der Leipziger Abonnementskonzerte von 1893 und dem 275. des Gewandhausorchesters mit der Amtseinführung Andris Nelsons als neuem Gewandhauskapellmeister am 23. Februar 2018.
Das Buch ist eine Zeitreise (in 14 Kapiteln) vom Fin de Siècle durch zwei Weltkriege und zwei deutsche Diktaturen bis heute. Auf den ersten Seiten des schwer-gewichtigen Buchs begegnet man einem bemerkenswerten Konzert: Johannes Brahms dirigierte am 31. Januar 1895 seine Akademische Festouvertüre und seine beiden Klavierkonzerte mit Eugen d’Albert als Solist. Am Ende des Buchs wird Riccardo Chailly als Gewandhauskapellmeister (2005-2016) verabschiedet, ohne zum angekündigten Abschiedskonzert zu erscheinen. Die Oper Leipzig (die ja vom Gewandhausorchester bespielt wird) feiert mit der Götterdämmerung Premiere eines neuen (erstmals seit 1976) Ring-Abschlusses mit Ulf Schirmer am Pult. Er ist seit 2009 GMD der Oper Leipzig.
Aber auch der Tod Kurt Masurs am 19. Dezember 2015 wird ausführlich gewürdigt. Er war von 1970 bis 1996 Gewandhauskapellmeister und langjähriger, kontrovers beurteilter Vorzeigerepräsentant des DDR-Musiklebens und spielte beim Ende der DDR keine unwichtige politische Rolle. Mit einem Gedenkkonzert am 16. April 2016 wurde er geehrt.
Der Band schildert die wechselvollen Jahre des Wirkens einiger der bedeutendsten deutschen Dirigenten (und Gewandhauskapellmeister): von Arthur Nikisch über Wilhelm Furtwängler, Bruno Walter, Hermann Abendroth, Herbert Albert, Franz Konwitschny, Vaclav Neumann, Kurt Masur und Herbert Blomstedt bis zu Riccardo Chailly. Erster Weltkrieg, Nazizeit und Zweiter Weltkrieg (mit der Zerstörung des alten Gewandhauses), Nachkriegs- und DDR-Zeit (mit der Errichtung des neuen Gewandhauses 1981) sowie die Jahre der deutschen Wiedervereinigung und die Zeit danach werden im Musikleben des Gewandhausorchesters einschließlich seiner künstlerischen Höhe- wie moralischen Tiefpunkte facettenreich gespiegelt.
Das Buch bleibt seinem schon im ersten Band verfolgten Prinzip, Schilderung, Kommentierung und chronologische wie geografische Verortung sein zu wollen, treu.
Zahlreiche Karten, Dokumente, Fotos und Grafiken veranschaulichen diese imposante Gesamtdarstellung der Geschichte der (neben der Dresdner Staatskapelle) bedeutendsten und traditionsreichsten mitteldeutschen Musikinstitution.
Dieter David Scholz