NDR Archiv-Serie
Werke von Bartók, Beethoven, Brahms, Debussy, Dvorák, Hindemith, Krenek, Liszt, Mahler, Mozart, Ravel, Roussel, Satie, Strauss, Strawinsky, Tschaikowsky und Wagner
In den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern Schätze. Das weiß jeder engagierte Radiohörer, der das Programm über längere Zeit verfolgt hat: Aufnahmen von hohem künstlerischen Wert mit namhaften Dirigenten und Solisten, die hier oft auch Repertoire einspielten, das vom gewinnorientierten Konzertbetrieb eher gemieden wurde. Besonders auf dem Gebiet der Neuen Musik nahmen die Rundfunkanstalten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vorreiter-Funktion ein.
Die eigenen Aufnahmen auch zu vermarkten damit taten sich die Sender allerdings lange schwer. Und so nahm man sogar hin, dass sich dubiose Labels bestimmter legendärer Aufnahmen bemächtigten und diese als Raubpressung herausbrachten, oft in schlampiger Aufmachung und mangelhafter Tonqualität. Durch das neue Lizenzrecht der EU und mit neuen Kooperationsformen von Schallplattenfirmen und Rundfunkanstalten hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Hänssler classic etwa arbeitet eng mit dem SWR zusammen und hat z.B. eine dokumentarisch überaus wertvolle Carl Schuricht-Collection auf den Weg gebracht, das neue Label Profil Edition Günter Hänssler und der Bayerische Rundfunk profilieren sich gerade mit dem Aufbau einer umfangreichen Günter Wand-Edition.
Ein ähnliches Bündnis sind auch EMI Classics und der NDR eingegangen. In zwei Serien mit je zehn CDs erschienen Aufnahmen des NDR-Sinfonieorchesters, die überwiegend unter der Leitung von Hans Schmidt-Isserstedt entstanden. Noch die britische Militärregierung hatte Schmidt-Isserstedt mit der Aufgabe betraut, für den Hamburger Rundfunk ein erstklassiges Sinfonieorchester aufzubauen und als Chefdirigent zu leiten. Die ersten Orchestermitglieder fand der Dirigent in den Kriegsgefangenen-Lagern Schleswig-Holsteins, wo im Sommer 1945 noch viele Musiker aus ehemaligen deutschen Sinfonie- und Opernorchestern interniert waren. Mit dem Sinfonieorchester des Nordwestdeutschen Rundfunks, dem späteren NDR-Sinfonieorchester, schuf sich Schmidt-Isserstedt damals sein Wunschtraum-Orchester, wie er gerne sagte, und leistete damit einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Regeneration des deutschen Musiklebens nach dem Krieg. Als Chefdirigent leitete er das Orchester 26 Jahre lang bis 1971. Unter seiner Stabführung reifte das NDR-Sinfonieorchester zu Weltklasse-Format heran.
Die künstlerische Zusammenarbeit des Dirigenten mit diesem Orchester ist in hunderten von Rundfunkproduktionen dokumentiert. Ein wichtiger Teil seiner Aufnahmen aus den 60er und 70er Jahren ist nun auf CD greifbar. Unter den ersten zehn Titeln befindet sich u.a. ein kompletter Brahms-Zyklus, der zwischen 1962 und 1973 entstand und Schmidt-Isserstedts letzte Aufnahme vom 21. Mai 1973 enthält (4. Sinfonie). Die Mozart-Zuneigung des Dirigenten spricht aus Aufnahmen der Sinfonien Nr. 33, 34 und 41, sein Eintreten für die klassische Moderne ist mit ausgefeilten Einspielungen etwa von Bartóks Konzert für Orchester, Strawinskys Sacre du printemps oder Hindemiths Mathis der Maler dokumentiert. Formsinn und Klarheit, verbunden mit einer gewissen Nüchternheit, prägen den Stil Schmidt-Isserstedts, der sich gern ohne Eitelkeit als Kapellmeister sah und selbstlos hinter das Werk zurücktrat und gerade deshalb geschätzt wurde.
Schmidt-Isserstedts unprätentiöse Art des Musizierens führte aber auch bei Wagner, Dvor¡ák (Sinfonien Nr. 7 und 9) und Tschaikowsky (Sinfonien Nr. 4-6) zu überzeugenden Ergebnissen. Aber auch Gastdirigenten und -solisten des NDR-Sinfonieorchesters zeigen in diesem großangelegten CD-Projekt Profil: István Kertész, Ernst Krenek, Kyrill Kondrashin, George Szell, Igor Markevitch, Wilhelm Furtwängler oder Klaus Tennstedt ebenso wie die Pianisten Claudio Arrau, Nikita Magaloff oder Friedrich Gulda
Eine dokumentarisch wertvolle Edition, der man nur einen dauerhaften Platz im Katalog und viele Nachahmer wünschen kann (Infos: www.emiclassics.de).
Norbert Hornig