Kolbe, Corina

NaturTon

Wie sich Orchestermitglieder für den Klimaschutz einsetzen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 17
Während Klimaschutz in deutschen Orchestermanagementbüros eher selten und wenn dann vor allem ein Kosten-Thema ist, haben Orchestermusiker selbst Nachhaltigkeitsinitiativen angestoßen: Die Stiftung NaturTon der Staatskapelle Berlin etwa ist ein herausragendes Beispiel verschiedener "grüner" Initiativen von Musikern.

An der Westküste Sardiniens hat sich Claudio Abbado in mehr als vier Jahrzehnten ein grünes Refugium erschaffen. Wie Italo Calvinos Baron auf den Bäumen lebt der Dirigent in seinem Ferien­domizil gewissermaßen in den Wipfeln, irgendwo zwischen Himmel und Erde. Grün umwucherte Holzstege führen ihn in luftiger Höhe durch ein Dickicht aus farbenprächtigen Hibiskusbüschen, stattlichen Palmen, duftenden Kräutern und ausladenden Bananenstauden. Wann immer er sein Partiturstudium für einen Moment unterbreche, gehe er am liebsten hinaus in den Garten. Inmitten der Pflanzen erklinge die Musik plötzlich in seiner Vorstellung, erzählt er.
Um einen nahe gelegenen Küstenstreifen zu schützen, ließ Abbado dort 9.000 Pflanzen ansetzen, die sich rasch vermehrten. Als “grüne Gage” für seine geplante Rückkehr an die Mailänder Scala forderte er unlängst 90.000 neue Bäume, um das Klima in der von Smog belasteten Industriemetropole zu verbessern. Das gemeinsam mit dem Architekten Renzo Piano geplante Projekt blieb eine Utopie, und Abbado, der 18 Jahre lang Musikdirektor des Opernhauses war, musste seine Auftritte aus Gesundheitsgründen absagen. In Deutschland haben Musiker inzwischen aber selbst Nachhaltigkeitsinitiativen angestoßen, die ähnliche Ziele verfolgen.

Stiftung NaturTon
Mehrere Mitglieder der Staatskapelle Berlin stellten im Juni 2010 die bislang einzigartige Klimaschutzinitiative “Orchester des Wandels” vor, die durch die “Stiftung NaturTon” langfristig abgesichert werden soll. Das Stiftungskapital brachten die Musiker selbst aus ihrem Privatvermögen zusammen. Die Initiatoren wollen umweltfreundliches Verhalten innerhalb der Staatskapelle fördern und in enger Zusammenarbeit mit dem “World Wildlife Fund” (WWF) Klimaschutzprojekte in aller Welt unterstützen. Die Initiative versteht sich zugleich als öffentliche Plattform, auf der andere Orchester, Ensembles, Solisten und Musikmanager eigene Umweltprojekte vorstellen und sich miteinander vernetzen können.
“Mit viel Überzeugungsarbeit haben wir es geschafft, alle Kollegen hinter uns zu bringen”, sagt der Hornist Markus Bruggaier. Die Staatskapelle erklärte sich bereit, einmal im Jahr ein zusätzliches Benefizkonzert zu geben. Ihr Generalmusikdirektor Daniel Barenboim übernahm die Schirmherrschaft über das “Orchester des Wandels”. Bei dem ersten “Klimakonzert” wird am 16. Januar 2011 Zubin Mehta in der Staatsoper im Schillertheater am Pult stehen. Die gesamten Einnahmen werden einem WWF-Waldschutzprogramm in Indien zufließen. Der “harte Kern” der Initiative hat sich bereits von klein auf für Umweltschutz interessiert. Einige Musiker erlebten dann die Geburt ihrer eigenen Kinder als wichtige Zäsur, die sie zum konkreten Handeln bewegte. “Ich möchte nicht, dass mein Sohn mich später fragen muss, warum ich nichts gegen die Umweltzerstörung unternommen habe”, meint der Hornist Sebastian Posch, der auch dem von Abbado mitbegründeten Mahler Chamber Orchestra angehört.
Die Künstler hoffen, das Publikum durch ihre Musik besonders für den Klimaschutz sensibilisieren zu können. Viele Leute seien vermutlich kurz davor, sich für solche Ziele zu engagieren, bräuchten aber noch den letzten Anstoß, meinen sie. Spender können einen auf der Website abgebildeten “Gründerbaum” durch ihre Zuwendungen “düngen” und beobachten, wie ihm nach und nach Äste und Blätter wachsen.
“Wir haben nun die Chance, das ansonsten recht belastende Thema auf eine ganz andere Bühne zu bringen”, sagt der Geiger Milan Ritsch. Er wünscht sich, dass aus diesem Ansatz interessante Programmzyklen hervorgehen, die das Verhältnis des Menschen zur Natur reflektieren. Auf Tourneen könne man diese Idee auch in weiteren deutschen Städte und sogar im Ausland vermitteln, wünscht er sich. Andere Orchester hätten zudem die Möglichkeit, sich an den Zyklen zu beteiligen. Begleitend zum ersten Klimakonzert wird die Stiftung “Denkwerk Zukunft” außerdem eine Konferenz zum Thema Konsumgesellschaft und Nachhaltigkeit veranstalten. “Wir glauben an den Schneeballeffekt unserer Projekte”, meint die Flötistin Simone van der Velde.
Im Alltag der Staatskapelle will die Stiftung u.a. darauf hinarbeiten, dass die Musiker bei unvermeidlichen Flugreisen freiwillige CO2-Abgaben leisten. Nachgedacht wird außerdem über die Verwendung von Recyclingpapier in der Orchesterverwaltung, die Koppelung von Eintrittskarten und Nahverkehrsausweisen sowie die umweltverträgliche Sanierung des vorübergehend verlassenen Opernhauses Unter den Linden.
Als weiteres zentrales Anliegen will die “Stiftung NaturTon” den nachhaltigen Umgang mit Hölzern zum Bau von Instrumenten unterstützen. In Madagaskar würden täglich 600 Kubikmeter Palisanderholz aus den Nationalparks geholt, berichtet Bruggaier. Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen sei den Instrumentenbauern längst bewusst, sagt er. Bruggaier und seine Kollegen suchen nun Partnerorchester, um gemeinsam nachhaltige Projekte anstoßen zu können. Als Gegengewicht zu ihrem internationalen Klimaschutzengagement planen die Musiker auch Projekte mit einem konkreten Bezug zu Berlin. Spender sollen ganz aus der Nähe mitverfolgen können, wofür ihr Geld eingesetzt wird. Der Oboist Fabian Schäfer hat die Idee, auf einer Stadtbrache einen an Wagners Parsifal inspirierten Zauberwald anpflanzen zu lassen. Auf dem Gelände sollten Kinder auf spielerische Weise die Natur und die Welt der Oper kennen lernen. Auch andere Generationen könnten eingebunden werden, meint Schäfer. Er stellt sich vor, dass etwa ehemalige Mitarbeiter der Staatsoper den Kindern ihre persönlichen Kulturerfahrungen nahe bringen.

Tu was!
Während die Mitglieder der Staatskapelle das erste Klimaschutzprojekt auf Orchesterebene ins Leben gerufen haben, kamen Ende August bereits einzelne Künstler auf Schloss Ulrichshusen in Mecklenburg-Vorpommern zu einem Konzert für Nachhaltigkeit zusammen. Als Unterstützer für seine Initiative “Tu was!” gewann der Violinist Daniel Hope den Bassbariton Thomas Quasthoff, den Trompeter Till Brönner, den Klarinettisten David Orlowsky, den Pianisten Sebastian Knauer und die NDR Bigband. Bundesumweltminister Norbert Röttgen übernahm die Schirmherrschaft für die Veranstaltung, die vom “Rainforest Project” des britischen Prinzen Charles gefördert wurde.
Bereits bei den Vorbereitungen wurde auf klimabewusstes Verhalten geachtet. Um den CO2-Ausstoß zu verringern, kamen viele Mitarbeiter mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die NDR Bigband reiste in einem umweltverträglich angetriebenen Bus an. Den Besuchern des Konzerts, das im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern stattfand, stand ein Shuttle-Dienst zur Verfügung. Beim Catering legten die Veranstalter darauf Wert, dass regionale Produkte und vegetarische Lebensmittel angeboten wurden. LED-Lampen spendeten auf umweltschonende Weise Licht, und die Programmhefte waren auf Recyclingpapier gedruckt. “Wir Künstler erreichen viele Menschen und können diese dazu animieren, sich für den Klimaschutz persönlich einzusetzen”, sagt Daniel Hope. “Aber natürlich wollen wir auch selbst ein Beispiel geben.”
Zum Auftakt der Saison 2010/11 stellten die Hamburger Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Jeffrey Tate im September ebenfalls ein eigenes Umweltprojekt vor. Die Elbmetropole muss als “European Green Capital 2011” ihr Naturschutzengagement glaubhaft unter Beweis stellen. Zu Olivier Messiaens Werk Des canyons aux étoiles schuf der in Israel geborene Regisseur und Komponist Daniel Landau eine Videoinstallation mit Landschaftsbildern, die in der Laeiszhalle ihre Uraufführung erlebte. Wie Landau erklärte, handelt sein auf drei Leinwände projizierter Film vom Verhältnis des Menschen zur Natur und versteht sich als “polyfoner Gegenpart” zu dem Orchesterstück. Anfang 2012 wollen die Hamburger Symphoniker auf ihrer USA-Tournee die Videoinstallation auch im Lincoln Center in New York und in anderen amerikanischen Städten vorführen.

www.orchester-des-wandels.de
www.klima-sucht-schutz.de/mitmachen/beitrag/article/klimafreundliches-konzert-tu-was.html
www.hamburgersymphoniker.de/artikel-441.htm