Ruzicka, Peter
Nachklang
Spiegel für Orchester, Studienpartitur
Nachklang Spiegel für Orchester ist ein Auftragswerk des Bundesjugendorchesters. Peter Ruzicka schrieb dieses Werk wie er im Vorwort zur Partitur ausführt im Herbst 1999 nach Beendigung seiner Oper Celan Musiktheater in 7 Entwürfen nach einem Text von Peter Mussbach (Auftragswerk der Sächsischen Staatsoper Dresden). Ruzicka zu Nachklang: Die Komposition nimmt Bezug auf orchestrale Passagen der Oper, verwandelt sie und gewinnt einen neuen dramaturgischen Zusammenhang der Rückschau, des Rückhörens. Musikalische Gestalten und Klangflächen werden gespiegelt, disparate Entwicklungen zusammengeschaut. Ich machte während der Komposition die Erfahrung des Nachklingens, das sich wie ein beständiger Klangschatten ausnahm.
Hören erweist sich als Nachhören. Der Aspekt der Ferne, der Weite, der Weiträumigkeit und der Aspekt des Verschwindens sind von großer Bedeutung für dieses Werk. Klänge verlieren sich, verflüchtigen sich, verschwinden ins Nichts (das Zeichen für einen solchen Prozess ist die Decrescendo-Gabel mit einem kleinen Kreis am Schnittpunkt der Linien); das ganze Werk schließlich zeichnet einen Prozess des Verschwindens ins Nichts nach.
Vielerlei Resonanzphänomene bewirken eine nuancenreiche Farbgebung. Resonanz erweist sich dabei als Nachschwingen/Nachklingen und als Mitschwingen/ Mitklingen. So wird das Orchester weniger als homogener, sondern eher als in sich aufgefächerter und vielfältig zusammengesetzter Klangkörper behandelt. Es gibt Korrespondenzen innerhalb einer Instrumentengruppe, aber auch von einer Gruppe zur andern. Die Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in B (2. auch Bassklarinette), 2 Fagotte (2. auch Kontrafagott); 3 Hörner in F, 3 Trompeten in B (1. auch Ferntrompete im Saal), 3 Posaunen, 1 Basstuba; Harfe, Flügel, Celesta, elektronische Orgel oder Synthesizer (1 Spieler); Pauken (6 Instrumente); ein sehr differenziertes Perkussionsensemble (4 Spieler); eine reich besetzte Streichergruppe (10 Violinen I, 8 Violinen II, 6 Violen, 6 Violoncelli, 4 Kontrabässe allesamt Fünfsaiter).
Einer Introduktion folgt ein eher statischer Teil (fortissimo) mit Klängen, die von einer Vorschlagsfigur (zunächst einer Art Doppelschlag als Redeformel) eingeführt werden. Verhalten und wie von fern um eine beliebte Vortragsanweisung Mahlers aufzugreifen erklingt der nächste Abschnitt (pianissimo), der durch Flageoletts und gedämpfte Klänge charakterisiert wird. Ein nun folgender geräuschhafter Teil (oft tonlos, reich an Flageoletts und Glissandi) verliert sich im Nichts. Erneut flammen die geräuschhaften Elemente auf (Arpa: Fingernagel-Glissando; Flügel: mit Stiel über die Stimmstöcke fahren). Nach einem Steigerungsabschnitt, der die vorschlagsartigen Figuren des Beginns wieder anklingen lässt, verebbt der Klang. Zu hören ist ein Abbau, das Verschwinden der Komposition selbst dauert seine Zeit.
Fernwirkungen entstehen nicht nur durch die Ferntrompete im Saal; auch Flageoletts und Glissandi, besondere Weisen der Instrumentation, dynamische Anweisungen und besondere Spielweisen (z.B. con sordino, mit Dämpfer) erzeugen die Empfindung im Hörer, der ferne Klang sei stets präsent.
Resonanz als Nachklang zeigt sich zum einen im konkret auskomponierten Nachklang eines Instruments (vgl. z.B. S. 25 f.), zum andern in Fortsetzungen eines Klangs im Klang anderer Instrumente, die den ersten zu verlängern scheinen, oder in (anderen) Echowirkungen unterschiedlichster Art. Ein ohrenfälliges Beispiel für Resonanz als Mitklingen sind Streicherflächen, bei denen Flageolett-Glissandi und hohe Klangballungen (divisi) in den Violinen, lang gehaltene Klänge in den Violen und falsche Quinten in den tiefen Streichern einen ganz neuen Klang erzeugen.
Bei einer Aufführungsdauer von ca. 18 Minuten lässt sich Nachklang problemlos im Programm unterbringen. Für das Orchester, das dieses Werk einstudiert, gibt es viel zu entdecken.
Eva-Maria Houben