Feinberg, Anat

Nachklänge

Jüdische Musiker in Deutschland nach 1945

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Philo, Berlin 2005
erschienen in: das Orchester 12/2005 , Seite 70

Fragen an 13 Personen verflechten sich mit Antworten von 13 Personen in der vorliegenden Veröffentlichung zu einem geglückten Gesprächsbuch, das dem Leser Porträts und Selbstporträts von jüdischen Musikern vorstellt. Es handelt sich um Menschen der Jahrgänge 1912 bis 1963: vom Dirigenten Kurt Sanderling bis zum Musikwissenschaftler und Pianisten Jascha Nemtsov. Ihre Lebensumstände sind über die gut fünfzig Jahre hinweg naturgemäß, vor allem aber politisch-gesellschaftlich bedingt weit voneinander getrennt angesiedelt. Doch in einem Punkt treffen sie sich, nämlich in der Erörterung der Frage, was Juden in Deutschland nach 1945 erleben und denken, warum sie (wieder) hier leben, bleiben oder kommen und wie weit sie sich integriert und in Deutschland zuhause fühlen.
Eben das wollte Autorin Anat Feinberg herausbekommen. Sie ist ausgebildete Sängerin und Musikwissenschaftlerin, stammt aus Israel, lebt seit 1990 in Deutschland und lehrt an der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien hebräische und jüdische Literatur. „Haben sich“, so fragt sie in ihren einleitenden Bemerkungen, „die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen soweit ,normalisiert‘, dass es unwichtig, irrelevant oder gar überflüssig ist, von einem jüdischen Musiker zu sprechen – genauso, wie niemand auf die Idee käme, von einem evangelischen oder katholischen Musiker zu sprechen?“ Natürlich käme keiner auf die Idee oder anders gesagt: So oft dieser Maßstab zum Messen der „Normalisierung“ auch herangezogen wird, ist und bleibt er doch schief. Feinberg selbst geht ja von Elementen der „Jüdischkeit“ als gegeben aus, die gar nicht religiös bestimmt sind. Zum Beispiel in der Frage, ob die jüdischen Geiger einen besonderen Ton haben. Auch ihre Gesprächspartner erinnern sie öfter mal an die diffizile Wesensbestimmung. So wollte der 1949 in Budapest geborene Dirigent Adam Fischer zunächst gar nicht am Buch mitarbeiten, weil er ein Problem damit hat zu definieren, was denn ein Jude sei. Fischer erläutert: Ist es der, der die jüdische Religion befolgt, oder der, des-sen Großmutter mütterlicherseits eine Jüdin war? Darüber wolle er keine Interviews geben, denn er missachte die Vorschriften und beurteile grundsätzlich niemanden nach der Geburt. Bleibt die dritte Bestimmung: In Deutschland ist ein Jude derjenige, dessen Familie im „Dritten Reich“ verfolgt wurde. Darüber sei er gern bereit zu reden.
Das ist denn auch das Zentrum des Buchs. Nämlich die Frage, ob Juden trotzdem wieder und weiter bei den Deutschen leben können oder ob doch Israel ihre einzige Heimat ist? Die Gesprächspartner machen deutlich: sie können. Als Künstler haben sie natürlich eine besondere gesellschaftliche Stellung: Einerseits sind sie aufgehoben in der internationalen Szene ihrer Profession, und dort gibt es wie überall diesen und jenen Rassismus oder eben auch keinen. Der „Fall Wagner“ macht das hinreichend deutlich. Sollte man ihn in Israel spielen oder nicht? Sollte ein Jude seine Musik spielen oder dirigieren? Andererseits finden sich gerade in der Öffentlichkeit des Künstlerlebens viele Gelegenheiten, an das Eigene erinnert zu werden: an die jüdische neschume (Seele), die Sehnsucht nach Eretz Israel und die Gemeinschaft mit den eigenen Leuten.
Das Buch macht den Leser mit dreizehn liebenswürdigen Menschen bekannt und bezeugt beiläufig die gemeinschaftsbildende Kraft von Kunst und Kultur.
Kirsten Lindenau