Steffen Georgi, Sebastian Klotz, Clara Marrero, Arne Stollberg, Friederike Wißmann (Hg.)
Musizieren für das Radio
100 Jahre Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Anlässlich des Jubiläums 100 Jahre“ von Konzertübertragungen im Deutschen Rundfunk entstand der vorliegende Band in einer Kooperation des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und der Humboldt Universität Berlin sowie der Hochschule für Musik und Theater Rostock. In einer Annäherung an die Geschichte voller „Brüche und Transformationen“ versammelt das Buch in einem ersten Teil historische Reflexionen zum Medium Radio, in einem zweiten Teil kommen verschiedene Facetten der Orchestergeschichte zu Wort. Nur in einigen Beiträgen fügt sich das Thema des Musizierens für das Radio zusammen, so in der Betrachtung zu Opernaufführungen in den 1920er Jahren (T. M. Hoffmann), die aufgrund des rein auditiven Mediums erhebliche Probleme beim Verständnis der Zuhörenden erzeugten.
Was alle Beiträge miteinander verbindet, ist das Beleuchten von Ideologien in den unterschiedlichen politischen Herrschaftskontexten. Das ist beim Rundfunk-Sinfonieorchester auch zu erwarten, das die wechselvolle deutsche Geschichte kontinuierlich begleitet hat. Schon die Reflexionen zum Radiomedium selbst dokumentieren die konservativen und progressiven Möglichkeiten, wie sie in den 1920er Jahren bei Weill, Eisler und Brecht diskutiert wurden (F. Wißmann). Weitere Themen sind die Herkunft des Mediums unter der Ägide militärischer Nutzung (S. Klotz), schließlich die Frage nach dem ideologischen Gehalt von Musik (Stollberg) oder Beethovens IX. Sinfonie (M. L. Voß).
Die abschließenden Beiträge widmen sich der Frage nach Diversität und gegenwärtiger gesellschaftlicher Offenheit des Orchesters. In einem Interview plädiert Chefdirigent Vladimir Jurowski für eine Kultur der Neuen Musik, die seit Hermann Scherchens 1928 eingerichteter Konzertreihe „Stunde der Lebenden“ substantieller Teil des Rundfunk-Sinfonieorchesters (mit Unterbrechung durch die Nazizeit) war und ist.
Bei aller interessanten Vielfalt der vorliegenden Beiträge entsteht weniger eine Geschichte von Brüchen als ein Panorama. Wird auf der einen Seite das Radio reflektiert, so andererseits das Orchester mit seinen wechselnden Chefdirigenten, etwa am Beispiel Hermann Abendroths (J. Jäger), dessen erfolgreiche Biografie zwischen Nazizeit und DDR durchaus Fragen aufwirft. Eher zwischen den Zeilen geht es um die Verbindung von Orchester und Radio und die neuen Bedingungen des Hörens und der Wahrnehmung allgemein. Die daran anschließende Frage, wie ein Orchester die Möglichkeit und die Bedingung speziell des Radiosenders nutzt und bearbeitet, bleibt weitgehend offen.
Steffen A. Schmidt