Stöck, Katrin

Musiktheater in der DDR

Szenische Kammermusik und Kammeroper der 1970er und 1980er Jahre

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2013
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 62

Dieses Buch, eine aus zehnjähriger Forschungsarbeit hervorgegangene und als Band 10 der Reihe „KlangZeiten“ veröffentlichte Dissertation, hat die „kleinen“ musiktheatralischen Formen und Gattungen zum Thema: eine umfang- und faktenreiche Betrachtung von Werken mit sehr unterschiedlichen Funktionen in der Musikkultur der DDR und von Komponisten, die mannigfaltige und innovative Beiträge dafür geschaffen haben. Es waren „folgenreiche“ Stücke wie Friedrich Schenkers Missa nigra (1979), Georg Katzers De Musica und Szene für Kammerensemble (1975), Reiner Bredemeyers Bilderserenade (1976), Ruth Zechlins An Aphrodite (1977), Paul Heinz Dittrichs Kammermusik VIII Die Blinden (1984), Friedrich Goldmanns Opernfantasie Hot bzw. Die Hitze (1974) oder Gerhard Rosenfelds Kammeroper Die Verweigerung (1989), die meist den Spezialensembles für Neue Musik in Leipzig, Berlin, Dresden und Weimar zugedacht waren, die aber nicht nur bei den Musikbiennalen und DDR-Musiktagen in Berlin ihre Uraufführung erlebten, sondern auch andernorts, in der Provinz, zu hören waren.
Es waren Stücke, die im Gefolge von Cage und Kagel oder auch im Rekurs auf die „linke Materialästhetik“ der 1920/30er Jahre ein eigenständiges ästhetisches, musikalisches und theatralisches Avantgardeverständnis entwickelten und repräsentierten, das Kammermusik um sprachliche, sängerische und gestisch-szenische Aktionen ergänzt und der Kammeroper durch Pantomime und Tanz, elektronische Klänge und filmische Einblendungen neue Dimensionen verliehen hat. Und es waren Stücke mit einer klaren politischen Aussage, wie Schenkers Todestheater gegen den Bau der Neutronenbombe und den imperialistischen Krieg, mit deutlichen Anspielungen auf die zunehmende (kultur-)politische Stagnation in der DDR oder Exponate totaler künstlerischer Freiheit in Form von Happening und Performance. Und es gab Nischenprodukte – romantische Refugien oder klingende Visitenkarten für den Eintritt in die westliche Musikwelt. Texte von der Antike bis zur Gegenwart lieferten das Material für Vertonung, Dekonstruktion, Montage und Chiffren.
Stöcks Darstellung dieser komplexen Phänomene erfolgt in vier Kapiteln, die Begrifflichkeiten klären sowie Theatralität, Postdramatisches Theater und Oral History als Methoden erläutern; die den Überblick über die Kulturpolitik der DDR in den Jahren 1971 bis 1989/90 unter Einschluss der Musikkongresse und -konferenzen des Komponistenverbandes geben; die die Voraussetzungen für das Entstehen von Szenischer Kammermusik und Kammeroper erkunden und die die Beweggründe der Komponisten für die Auseinandersetzung mit diesen Gattungen darstellen – anhand von Analysen, Notenbeispielen und Zitaten. Dank der 25 Komponisten-Interviews (1999/2000) gelingt es der Autorin, ihre Erkenntnisse zu Dogmen, „Windungen“ und Vielfalt in der DDR-Musikentwicklung durch neue, authentische Belege facettenreich zu veranschaulichen. Und dadurch wird das Buch auch für den „normalen“ Leser zur lohnenden, ja spannenden Lektüre.
Eberhard Kneipl