Bruhn, Herbert / Reinhard Kopiez / Andreas C. Lehmann (Hg.)

Musikpsychologie

Das neue Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Reinbek 2008
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 56

Wandlungen und Zugewinn an Wissen zeigen sich an den drei Fassungen des Handbuchs der Musikpsychologie, dessen frühere Versionen 1985 und 1993 erschienen sind. Von den ursprünglichen Herausgebern ist nur noch Herbert Bruhn geblieben. Die Konzeption hat sich zwischen der ersten und zweiten Version am stärksten verändert. 1985 war man von einer psychologischen Konzeption ausgegangen, bei der die Grundlagen des Hörens und das Thema Musik und Persönlichkeit am Anfang standen, erst spätere Kapitel waren gesellschaftlichen und kulturellen Themen gewidmet. Bei der zweiten und dritten Fassung sind die Grundlagen ans Ende gerutscht. Es zeigt sich eine eher soziologische Orientierung, bei der der sozial-kulturellen Determiniertheit des Menschen stärkeres Gewicht beigemessen wird als dem Verhältnis des Individuums zu seinen gesellschaftlichen Determinanten.
Das als „das neue“ bezeichnete Handbuch wirkt inhaltlich gestrafft. Der Aufbau im Einzelnen sieht sieben große Abschnitte vor: Musikkultur und musikalische Sozialisation, Musikalische Entwicklung, Musik und Medien, Musikleben, Grundlagen der Musikwahrnehmung, Wirkungen, Forschung. Die Unterteilung dieser Abschnitte in einzelne Kapitel ist unterschiedlich gut geglückt, worin sich wahrscheinlich das allgemeine Los von He­raus­gebern spiegelt, dass ihre Intentionen von den Autoren nur teilweise umgesetzt werden. Die beiden sehr lesenswerten Kapitel des ersten Abschnitts, „Das Hören in der Umwelt des Menschen“ und die als Realitätsaneignung verstandene „Musikalische Sozialisation“ greifen sehr gut ineinander über. Schwieriger gestaltet sich für den Leser die Zusammenschau mit den beiden informativen Kapiteln „Musikalische Begabung“ und „Lernen, Übung und Expertisierung“, weil im späteren vierten Abschnitt mit der Überschrift „Musikleben“ Ergänzungen folgen. Möglicherweise war daran gedacht, diesen vierten Abschnitt der musikalischen Praxis des ausübenden Künstlers zu widmen, der jedoch kaum ohne „Expertisierung“ auskommen kann. Verquer im ersten Abschnitt ist das Kapitel „Kulturforschung und Musiksoziologie“, ein Konglomerat von einzelnen Gedanken und Untersuchungen, von denen zumindest die Erörterung über das Verhältnis der New Musicology zu Adorno überflüssig ist.
Rund wirken vor allem die Abschnitte zur musikalischen Entwicklung und zu den Medien, wobei man bei dem Letzteren allerdings ein Kapitel zu den Grundlagen der audiovisuellen Wahrnehmung vermisst. Die Abschnitte 5 und 6 stellen auf hohem Niveau zusammen, was man über Wahrnehmung und Wirkung von Musik im Bereich Musikpsychologie wissen sollte. Erstaunt hat mich, dass in diesem Band das Thema „Musikerpersönlichkeit“, so auch Probleme des Lampenfiebers, an den Rand gedrängt sind, wie immer man dankbar die guten Überblicksdarstellungen zur Interpretation oder zu Musikerkrankheiten zur Kenntnis nimmt.
Ein zwischen einem Sachbuch und einem Lexikon angesiedeltes Handbuch braucht ein gutes Sachwortverzeichnis. Diese Mühen haben die Herausgeber auf sich genommen, hilfreich für den Leser, dem sich ein wissenschaftliches Werk empfiehlt, das sehr verständlich geschrieben ist.
Helga de la Motte-Haber