Hübner, Georg

Musikindustrie und Web 2.0

Die Veränderung der Rezeption und Distribution von Musik durch das Aufkommen des "Web 2.0"

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Peter Lang, Frankfurt am Main 2009
erschienen in: das Orchester 09/2009 , Seite 65

Die Musikindustrie, also vor allem die Tonträgerhersteller, sind seit mehreren Jahren mit drastisch sinkenden Umsatzerlösen konfrontiert. Die Einbrüche im CD- und DVD-Absatz konnten von den Herstellern nicht einmal ansatzweise durch alternative Vertriebsmodelle (z.B. Download von Musiktiteln im Internet gegen Bezahlung) aufgefangen werden. Insbesondere die großen Produzenten, die „Majors“, leiden hierunter und haben mit gravierenden Umstrukturierungen und Personalkürzungen auf die Veränderungen im Musikmarkt reagiert.
Aber auch die Künstler haben die Veränderungen zu spüren bekommen. Lange vorbei sind die Zeiten aufwändiger Schallplattenaufnahmen im Studio mit Vorkasse und Umsatzbeteiligung. Orchester gründen eigene Kleinlabels, Musiker bieten ihre Aufnahmen direkt im Internet an, teilweise sogar kostenlos gegen eine beliebig große Spende. Alte Geschäftsmodelle sind zusammengebrochen, neue greifen nur bedingt. Wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte, ihre Hintergründe und Herausforderungen, aber auch die Aussichten für Produzenten und Künstler: Das sind wesentliche Themen des Buchs von Georg Hübner.
Das Schlagwort „Web 2.0“ steht dabei für einen Marketingbegriff: Das Internet ist eben nicht mehr nur ein reines Informationsmedium; seit wenigen Jahren ist vielmehr der Internetnutzer selbst (inter)aktiv in die Entwicklung von Netzinhalten eingebunden. Gutes Beispiel hierfür: die sich tagtäglich im Volumen rasch vergrößernde Videoplattform YouTube. Der Autor beschreibt aus Sicht der Musikindustrie die verschiedenen „Mediamorphosen“ der Vergangenheit, also die gravierenden technischen Umwälzungen, von der Ära der Verlage über die des Radios seit den 1920er Jahren bis hin zur Ära der Labels seit Mitte der 1950er Jahre.
Aus heutiger Sicht aber bleibt die gravierendste Entwicklung die Digitalisierung von Musikaufnahmen. Musik werde in Internettauschbörsen eben nicht „getauscht“, sondern „endlos und verlustfrei vervielfältigt“.
Der Status quo der Musikdistribution und -nutzung im Internet reiche von dem Phänomen des File-Sharing über Social Communities mit Musikschwerpunkt, über Music-On-Demand-Services und Podcasts bis hin zu Audioblogs, also dem „vollen Programm“ aktueller Internetstandards. Heute könne jedermann zum legalen oder illegalen Online-Distributor von Musik werden, Künstler nutzten die Möglichkeiten des Internets zur preiswerten Selbstvermarktung, der Tonträger sei zu einer bloßen Visitenkarte geworden und zu einem Promotion-Werkzeug zur Absatzsteigerung bei Live-Auftritten. Die Tonträgerbranche habe letztlich selbstverschuldet ihre ehemalige Vormachtstellung verloren, bei der Distribution von Musik – und dadurch auch bei der Repertoirebestimmung. Aber auch für die Künstler stelle sich die Frage nach der Zukunft. Möglicherweise, so der Autor in seinem Resümee, „stehen wir am Ende der Ära der aufgenommenen Musik als Geschäftsmodell“. Wer als Künstler oder als Tonträgerhersteller auch zukünftig noch einen Teil seines Einkommens aus Tonträgern bestreiten will, findet in dem Buch viele Informationen und Anregungen, um unternehmerisch richtig zu entscheiden.
Gerald Mertens