Mayer, Mathias (Hg.)

Musikgedichte

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: dtv, München 2011
erschienen in: das Orchester 09/2011 , Seite 69

Es ist eine eher kleine, bescheidene Auswahl an Gedichten über Musik, die der Augsburger Lehrstuhlinhaber für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft mit dieser Sammlung vorlegt. Mayer konzentriert sich auf den festen Kanon, ein Großteil des Gebotenen liegt bereits in ähnlichen Anthologien vor. Die erste Gedichtgruppe erkundet, was Musik denn überhaupt sei. „Musik: das ist Gesumm/von drüben, verstehst du?“, heißt es bei Karl Krolow. Morgenstern spürt dem „Urton“ nach, Achim von Arnim ist auch Melodie „irdisch wandelbar“. Auf einem Kranz von Abendständchen und Nachtmusiken werden einzelne Instrumente vorgestellt, darunter prominent Leier, Harfe, Klavier, aber eben mit wenig Unbekanntem. Auch einzelnen Vortragssituationen, Komponisten, Gattungen und Formen gelten die Gedichte.
Mörikes Äolsharfe darf nicht fehlen, noch Trakls Musik im Mirabell und Schillers Laura am Klavier, Benns Chopin, Bachmanns Schwarzer Walzer. Von den Jungen, den Jüngsten ist lediglich Tom Schulz vertreten mit einem gelungenen Nachtstück, von den großen noch lebenden Alten nur Mayröcker (Schostakowitsch) und Enzensberger, der den Middle Class Blues hat. Dies mag allerdings auch urheberrechtlichen Gründen geschuldet sein. An die Seite des Bekannten treten immerhin zwei Neuentdeckungen, beides Originalbeiträge. Der Freiburger Christoph Michel steuert ein pudelmützen- und schalsattes Benefizkonzert bei, der Londoner Literaturwissenschaftler Rüdiger Görner zeigt zum Ausklang mit Musik, dass er nicht nur wunderbar über das spannende komparatistische Grenzgebiet zu schreiben, sondern durchaus selbst zu dichten vermag.
Im erhellenden Nachwort nennt Mathias Mayer Musik und Gedicht zu Recht Geschwister und verweist auf die Etymologie: Lyrik rührt von „Lyra, der altgriechischen Leier“ her. Entscheidend für eine Definition dessen, was ein Gedicht ausmacht, sei die „Nähe zum Musikalischen, Liedhaften, Rhythmischen“. „Wo“, fragt Mayer, „wenn nicht in der Lyrik, lässt sich die Schallmauer durchbrechen, denn gemeinhin ist Musik nicht adäquat in Sprache umzusetzen.“ Das Gedicht könne zum Resonanzraum, zum Echo der gehörten Musik werden. Für die gelungene Umsetzung von Tönen, Klängen, Melodien, Kompositionen in die Sprache der Lyrik finden sich in der leider etwas schmal geratenen Auswahl hinreichend Beispiele.
Zum Schluss eine Kostprobe von Paul Celan (die Todesfuge, bei Erstveröffentlichung 1947 in einer rumänischen Zeitschrift und in rumänischer Sprache übrigens noch Todestango geheißen – so viel zum heiklen Unterfangen, in Gedichten musikalische Gattungen oder Formen exakt bestimmen zu wollen –, fehlt wohl aus Platzgründen), deren eröffnende Zeile mit dem Titel identisch ist: „Die Posaunenstelle/tief im glühenden/Leertext,/in Fackelhöhe,/im Zeitloch://hör dich ein/mit dem Mund.“
Jürgen Gräßer