Marstedt, Gerd / Helmut Möller / Rainer Müller / Walter Samsel

Musikergesundheit

Ergebnisse einer Befragung junger Musiker über Berufsperspektiven, Be­lastungen und Gesundheit, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Bd. 39

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: GEK-Edition/Gmünder ErsatzKasse, St. Augustin 2005
erschienen in: das Orchester 11/2008 , Seite 57

Musikergesundheit ist zwar kein neues Thema, aber die vorgelegten beiden Bände zur Musikergesundheit und zur Musikphysiologie im Probenalltag beleuchten eine ganz neue Facette dieses Bereichs. Es geht um die Gesundheit von Jugendlichen in Jugendorchestern. Was belastet Jugendliche, die mit Freude und ausdauernd musizieren? Was hält sie gesund? Unterscheidet sich das auf die Gesundheit bezogene Verhalten von musizierenden Jugendlichen von ihren nicht musizierenden Altersgenossen? Und wie soll aus Sicht von Jugendlichen die Vorbeugung von musikerspezifischen Beschwerden aussehen?
Auf diese Fragen erhält der Leser der beiden Bände Antwort. Das erste, von Gerd Marstedt und Kollegen sorgfältig zusammengestellte Buch berichtet und diskutiert die Ergebnisse einer ungewöhnlich detaillierten Befragung von 705 Mitgliedern deutscher und europäischer Jugendorchester. Die Resultate sind bemerkenswert. Beispielsweise stufen sich musizierende Jugendliche als gesünder ein als ihre nicht musizierenden Altersgenossen, obwohl sie häufiger unter Schmerzbeschwerden leiden. Schmerzen beim Spielen scheinen das Gesundheitsempfinden nicht zu beeinträchtigen und werden als „normal“ akzeptiert. Psychische Belastungen findet man vor allem bei Jugendlichen, die eine Berufsmusikerlaufbahn anstreben. Hier werfen die unsicheren Zukunftsaussichten auf dem Arbeitsmarkt, Leistungs- und Konkurrenzdruck ihre Schatten voraus.
Und wie sieht der kerngesunde junge Musiker aus? Er ist selbstbewusst, erfolgreich, von äußeren Erwartungen wenig beeindruckt, optimistisch, treibt viel Sport, raucht nicht, isst jede Menge Obst und schläft ausreichend. So viel Vorbildlichkeit ist fast schon beunruhigend. Aber diese Jugendlichen sind eben nicht die verschrobene Streberin oder der verbissene Dauerüber. Kerngesund sind Jugendliche, die einen großen Freundeskreis haben, die sozial kompetent sind und die das Üben nicht als belastend empfinden. Was tun Jugendliche für ihre Gesundheit? Entspannungsverfahren, Yoga, Feldenkrais, Alexandertechnik und andere Stressbewältigungstechniken sind weitgehend unbekannt. Wer mit diesen Techniken bereits Erfahrungen gemacht hat, traut ihnen allerdings viel zu und ist von diesen Konzepten überzeugt.
Insgesamt liefert dieses Buch erstmals zahlreiche wichtige Informationen zur Musiker-Gesundheit bei einer jungen Zielgruppe. Die Konzeption des Buchs überzeugt. Auf der einen Seite werden die Originaldaten referiert, sodass sich der Leser selbst ein Bild machen kann, andererseits werden in griffigen Zusammenfassungen die Ergebnisse übersichtlich präsentiert. In der differenzierten Interpretation der Resultate wird die musiker-medizinische Kompetenz von Mit-Autor Helmut Möller deutlich.
Ganz kleiner Minuspunkt: Die Einordnung der Befunde hätte von einer sorgfältigeren statistischen Analyse profitiert. Trotz dieser kleinen Abstriche: Das Buch gehört in den Bücherschrank von Musikpädagogen, Leitern von Jugendorchestern und Musiker-Medizinern. Den Initiatoren und Sponsoren der Umfrage und der Publikation, der Gmünder Ersatzkasse und der Internationalen Musikschulakademie des Kulturzentrums Schloss Kapfenburg gebührt an dieser Stelle Dank.
Das zweite, von Erich W. Hacker und Susanne Löbig herausgegebene Buch schildert die praktische Umsetzung eines Präventionsprogramms während der Probenphase eines Jugendorchesters. Drei erfahrene Dozenten unterrichteten an drei Tagen jeweils 90 Minuten theoretisch und praktisch die Jugendlichen und vermittelten Aufwärm-Übungen, Wahrnehmungsübungen zu Haltung und Bewegung und Techniken zur Spannungsreduktion. Die Evaluation der Workshops zeigt, dass insgesamt große Of­fenheit und Interesse bei Jugendlichen bestehen, wobei die theoretischen Anteile auf weniger Gegenliebe stießen. Akzeptanz fanden vor allem leicht zu merkende praktische Übungen mit direktem Bezug zum Instrument. Das schmale Buch ist ebenfalls klar aufgebaut und die Kurskonzepte der Dozenten sind lesenswert. Der Band ist wertvoll für alle, die Präven­tion für junge Musiker anbieten wollen.
Eckart Altenmüller

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