Schnabel, Artur

Musik und der Weg des größten Widerstands

Hg. von Lynn Matheson und Ann Schnabel Mottier

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2007
erschienen in: das Orchester 05/2008 , Seite 55

Artur Schnabel (1882-1951), Pianist von Weltrang, hat mit kritischer Liebe zu seinem Beruf, einer kompromisslosen Disziplin und einem skeptischen Blick auf das Musikfeuilleton in seinem Fach viel Spürsinn bewiesen – u.a. legte er die erste Beethoven-Gesamtaufnahme in den Jahren 1932 bis 1937 vor und gilt zudem als bedeutender Schubert-Interpret. Seine reflektierenden Gedanken über die Zukunft des Musikbetriebs sind nun veröffentlicht worden.
Artur Schnabel war ein sturer Mensch in seinen Ansichten. Perfektion, eine unbedingte Disziplin im kontinuierlichen Üben sowie ein umfassendes Quellenstudium waren seine musikalischen Parameter. Das wäre für einen Musiker seines Rangs normal. Doch damit lässt es der große Pädagoge und Musiker nicht bewenden. Fast nüchtern wagt er einen ziemlich düsteren Blick in die musikalische Zukunft der Medien, einen ernüchternden Blick auf den Medienzirkus, in dem vor allem der Kritiker schlecht weg kommt (noch nicht einmal aus eigener Schuld, sondern eher aus den Prinzipien, die die Medienlandschaft vorgibt). Aus tagesaktuellem Interesse verändere sich die wirkliche Beschäftigung mit dem Werk, eine tief schürfende Analyse der musikalischen Semantik reduziere sich letztlich auf Schlagwörter. Die Zeit und das Interesse am „musikalischen Fast-Food“ (so würde ich es nennen) sorge dafür, dass der Wert, der Inhalt sich immer mehr auf die oberflächliche, glanzvolle Darbietung beschränke. Wohl wahr: Das Interesse an Seichtem steigt kontinuierlich an.
Schnabels Einschätzung ist im gewissen Sinne autokratisch, diktatorisch, weil sie gegensätzlichen Meinungen quasi den Boden entzieht. Mit seinem Credo beansprucht er Überlegenheit seines eigenen Anspruchs, den er sich in 50 Jahren Musikertum erarbeitet habe. Dass er sich dieses enormen Anspruchs bewusst ist und damit auch provoziert, gibt er zu. Aber es führt ihn nicht dazu, seine Maxime, dass Musik schlicht „anderen Künsten überlegen sei“ und seine Herangehensweise an eine gültige Interpretation eines Kunstwerks nahezu idealtypischen Charakter besitzt, zu hinterfragen bzw. einzuschränken.
Nun sollte man jedoch die Entstehungszeit von Schnabels Schrift nicht vergessen. Schnabels Werk ist ein historisches Dokument musikalischen Wandels und einer ästhetischen Formung an Künstler wie auch an das Publikum, wie mit Musik umzugehen sei: respektvoll, voller Werktreue (und das heißt im Sinne des Komponisten – und zwar ausschließlich so) und voller professioneller Energie und Kenntnis. Vor diesem Hintergrund ist die Schrift ein beachtliches und sehr ergiebiges Zeitdokument eines großen Künstlers, deren zeitkritische Einordnung dem musikalischen Gewinn seiner Gedanken keinerlei Abbruch tut.
Erik Buchheister