Dümling, Albrecht

Musik hat ihren Wert

100 Jahre musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutschland

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ConBrio, Regensburg 2003
erschienen in: das Orchester 07-08/2004 , Seite 72

Musik und Geld – das ist ein dauerhaft heikles Thema. Gerade wenn es um die Urheber von Musik geht, um die Komponisten. Noch immer glaubt so mancher, dass die Chance, sich künstlerisch ausdrücken zu dürfen, Verdienst genug wäre, dass – pointiert gesagt – als Lohn fürs monatelange Ideenentwickeln und ebenso aufwändige Partiturschreiben der Applaus des Publikums ausreiche. Indes scheint sich die Gesellschaft völlig einig darüber zu sein, den Ausführenden ein nach oben völlig offenes Honorar zu zahlen. Nicht selten übersteigt dieses um ein Vielfaches die monetäre Entlohnung des Komponisten, der etwa im Auftrag eines Festivals Neuer Musik ein Werk verfasst hat. Wer einmal die Gelegenheit hat, in den buchhalterischen Annalen diverser Festivals zeitgenössischer Musik zu stöbern, wird sich sehr wundern, was die Veranstalter bereit sind, dem Produzenten für seine Leistung zu bezahlen und was dem Reproduzenten.
Dieses grobe Missverhältnis, das in ähnlicher Form auch für den Literatur- und Bildenden-Kunst-Bereich gilt, kann und konnte die GEMA, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, nicht aus der Welt schaffen. Ihre Aufgabe ist eine andere. Sie kümmert sich darum, dass, sobald Musik gespielt wird, der jeweilige Urheber auch etwas davon hat, dass sie aufgeführt wird, nämlich Bares, damit er auch künftig Musik entwickeln und schreiben kann. Viel ist das für das Gros der Komponisten leider nicht, bei den meisten reicht es nicht einmal, um die Kosten fürs eigene Begräbnis einzuspielen. Aber das ist wie die finanzielle Disproportion zwischen Urheber und Interpret wieder eine andere Frage. Allerdings führt sie nun direkt ins Zentrum der GEMA-Praxis, nämlich zum Verteilungsschlüssel zwischen Komponist und seinem Verleger, den Textdichtern und ihren Verlegern. Wobei hier nicht jeder derselbe ist, selbst wenn er derselben Berufsgruppe angehört. Es gibt unterschiedliche Mitgliedschaften und höchst komplex-komplizierte pekuniäre Aufteilungsmodalitäten der von der GEMA treuhänderisch für ihre Mitglieder eingenommenen Aufführungsgebühren. Sie zu begreifen ist eine nie enden wollende Wissenschaft für sich, ebenso wie die alles andere als geradlinig verlaufene Geschichte der musikalischen Verwertungsgesellschaften.
Für diejenige in Deutschland, die 2003 ihren institutionell hundertsten Geburtstag begehen durfte
– das französische Pendant zur GEMA, die SACEM ist schon über hundertfünfzig Jahre alt –, hat der Berliner Musikwissenschaftler Albrecht Dümling viele Jahre intensiv geforscht und vor einigen Monaten ein äußerst beachtliches Buch vorgelegt. Seine umfangreiche Studie Musik hat ihren Wert – den Titel muss man angesichts der derzeitigen, völlig verfehlten Kulturreduktionsdiskussionen auch als emphatischen Aufruf für die Musik selbst verstehen – berichtet bemerkenswert detailgenau vom jahrhundertelangen Engagement der Komponisten für ihre Rechte, ein bitterer Überlebenskampf, den nicht wenige nicht gewonnen haben.
Die mit zahlreichen Abbildungen ausgestattete Publikation, die trotz ihres mitunter sperrigen Gegenstands – exakte juristische wie ökonomische Darlegungen sind hier selbstredend unverzichtbar – sehr gut zu lesen ist und auch die dunklen Kapitel der GEMA nicht ausspart – etwa ihre Rolle während des Nationalsozialismus –, ist ein wichtiges, nicht nur historisches Handbuch für alle, die ihr Leben der Erfindung von Musik verschrieben haben, die mit ästhetischen Interventionen, mit musikalischen Kommentaren der Gesellschaft neue, wegweisende Impulse verleihen. Und dafür kann die Sozietät nur dankbar sein, indem sie sich ebenfalls mit den existenziellen Fragen und Nöten derjenigen auseinander setzt, deren Können und Erzeugnisse sie tagein, tagaus gerne für sich – und gerne einfach nur so – beansprucht, ohne den adäquaten Gegenwert aufzubringen.
Wer das immer noch nicht glauben will, dem sei die Lektüre von Albrecht Dümlings Musiksozialgeschichte dringend nahe gelegt. Auch denjenigen Konzertveranstaltern, die wegen der scheinbar übermäßigen GEMA-Kosten bei der Realisation zeitgenössischer Musik lieber das klassisch-romantische Repertoire bevorzugen. Man mag sich nur wünschen, dass das Lesen hier dem Denken nützt.
 
Stefan Fricke

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