Bach / David / Bozza / Busch / Treiber

Musik für Viola solo

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bella Musica/Antes Edition 31.9261
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 68

Musik für Viola solo, noch dazu solche des 20. Jahrhunderts, ist im Konzertsaal vergleichsweise selten zu hören. Die Annahme, das entsprechende Repertoire erschöpfe sich ohnehin in den Solo-Sonaten von Hindemith und ein paar vereinzelten Gelegenheitswerken irgendwo zwischen Reger und Ligeti (und nötige die Interpreten deshalb häufig zu Bearbeitungen von Geigenliteratur), ist freilich ein Irrtum, wie die vorliegende CD mit Sibylle Langmaack eindrucksvoll beweist: Sie enthält nicht weniger als fünf Originalkompositionen, die allesamt bislang nicht auf Tonträgern greifbar waren und sich als ebenso hörenswert wie aufführungswürdig erweisen.
Als einzige Nicht-Rarität und gleichsam mottohaft geht dem Programm Kodálys (von Sibylle Langmaack mit energischem Impetus vorgetragene) Transkription von Bachs Fantasia Cromatica voraus. Tatsächlich greifen alle folgenden Stücke mehr oder weniger auf barocke Formen und Spielweisen zurück: Am offensichtlichsten Adolf Buschs knappes Präludium und Fugato, das simpel, aber konzis den Kontrast zwischen einstimmiger Melodie und polyfoner Struktur in Szene setzt. Buschs ebenfalls vertretene a-Moll-Suite bezieht ihren spielerischen Reiz dagegen daraus, dass sie sich zwischen barocken Tanzrhythmen und harmonisch eingedunkelten Sonaten-Verweisen nicht so recht entscheiden will.
Bei Johann Nepomuk Davids gewichtiger Sonate op. 31 Nr. 3 verhält es sich genau anders herum: Hier wird die überkommene Sonatenform mittels linearer Kontrapunktik neu definiert – am pointiertesten im durchgehend kanonischen Menuett, dessen Trio sogar noch eine (zusätzliche!) Pizzicato-Begleitung der linken Hand enthält. Dass Sibylle Langmaack mit ihrer betont intensiven Spielweise diesem Stück alle technische Kühle nimmt und zu einem durchaus emotionalen Hörerlebnis macht (ganz im Gegensatz zum gängigem Bild von David als einem eher spröden Komponisten), ist umso bemerkenswerter, als ihre langjährige Zusammenarbeit mit Davids Sohn Lukas der Aufnahme eine besondere Authentizität verleiht.
Die ist sicherlich auch bei den sechs Capricen des 1960 geborenen Felix Treiber gegeben, der als Konzertmeister der Badischen Staatskapelle Karlsruhe längere Zeit Langmaacks Kollege war (und ihr auch sein Konzert für Viola und Streichorchester gewidmet hat). Alles andere als avantgardistisch, sondern mit eher traditioneller „Launigkeit“ präsentieren sich die Stücke als kurzweilige Folge kontrastierender Stimmungen und Spieltechniken, die durchaus auch Assoziationen an mögliche (französische?) Vorbilder zulassen, ohne sie freilich offen zu zitieren.
Das kapriziöseste Stück der CD ist jedoch die 1967 entstandene Parthie pour Alto seul von Eugène Bozza: Die schiere Virtuosität und Farbigkeit dieser Partita (die mit dem barocken Modell wenig mehr als den Namen gemein hat) macht sie zu einer besonders wirkungsvollen, aber technisch kniffligen „Tour de force“, die bei Sibylle Langmaack (wie die übrigen Kompositionen auch) indes in besten Händen ist.
Joachim Schwarz