Nieper, Lena / Julian Schmitz (Hg.)

Musik als Medium der Erinnerung

Gedächtnis - Geschichte - Gegenwart

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Transcript, Bielefeld 2016
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 59

Weil Musik auf Erinnerung angewiesen ist, um das in ihrem Verlauf Erklingende miteinander zu verbinden, weil Musikwissenschaft mit Partituren, Texten und Tonaufnahmen arbeitet, mit festgehaltenen Erinnerungen also, scheint es durchaus angebracht, die Verbindung von Musik und Gedächtnis zu einem musikwissenschaftlichen Forschungsthema zu machen.
Dass es diesbezüglich inzwischen weiterführende Ansätze gibt, belegt die aktuelle Veröffentlichung Musik als Medium der Erinnerung. Sie ist einer Initiative von jungen Musikwissenschaftlern zu verdanken und enthält Vorträge des im Januar 2015 in Frankfurt am Main veranstalteten Symposiums zum Thema „Musik und Erinnerung“. Ergänzt wird das Material u.a. mit einem Text zur Rolle der Erinnerung im Kompositionsprozess von Strawinskys Le sacre du printemps. Er stammt von Jan Assmann, einem Mitbegründer des kulturwissenschaftlichen Forschungsgebiets, und unterstützt so die notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit. Der Titel dieses 2013 in dem von Hermann Danuser und Heidy Zimmermann herausgegebenen Buchs Avatar of Modernity bereits erschienenen Artikels wurde allerdings nicht korrekt zitiert: modernism statt modernity.
Aber auch allgemein lässt die Sorgfalt zu wünschen übrig, mit der das Buch vor seinem Erscheinen durchgesehen wurde, (zu) viele Fehler sind stehen geblieben. Das beeinträchtigt den positiven Eindruck der Beiträge, deren Inhalte hier nur angedeutet werden sollen.
Aus der kulturwissenschaftlichen Forschung stammende Modelle – das kommunikative Alltagsgedächtnis mit veränderbaren Inhalten und das relativ stabile Informationen speichernde kollektive oder kulturelle Gedächtnis – können von der Musikwissenschaft problemlos geteilt werden. Bibliotheken hätten so die Funktion eines kommunikativen Gedächtnisses, dessen Informationen in ständiger Benutzung sind, Archive die eines auf Abruf angewiesenen kulturellen Gedächtnisses. In diesen Kontext gehören auch Kanonisierungs-Prozesse, die Komponisten und Repertoire bewahren oder löschen können. Denn Gedächtnis bedeutet immer zweierlei, erinnern um etwas festzuhalten und vergessen um Raum für Neues zu schaffen; beides kann je nach Sachlage positive oder negative Bedeutung haben. Dass Musik gerade im 20. Jahrhundert ein im kulturellen Gedächtnis verankerter Erinnerungsort sein kann, vermittelt die Gattung des Requiems in den Kompositionen von Britten und Penderecki.
Bedenkenswert der Vorschlag von Helga de la Motte-Haber, weniger die Trennung der Gedächtnisformen, sondern mehr die Verschmelzung von Geschichtlichem und Individuellem, von Altem und Neuem als Metapher für das kulturelle musikalische Gedächtnis zu nehmen. Als Beispiel dafür könnte man Hans Zenders Nachgestaltung von Schuberts Winterreise ansehen.
Ursula Pešek

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