Henscheid, Eckhard

Musik

Verdi ist der Mozart Wagners / Musikplaudertasche / Warum Frau Grimhild Alberich außerehelich Gunst gewährte / Neue musikalische Schriften

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2005
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 85

So einen wie Eckhard Henscheid nannte man früher vermutlich einen Connaisseur. Also einen Kenner der Materie, der sich zudem als genuss- und bewunderungsfähig erweist. Die Materie ist im vorliegenden Fall die Musik, vor allem die Oper, aber beleibe nicht nur sie. Es gibt auch in die Jugendzeit zurücksteigende Reflexionen über die Verführungskraft eines Schlagers wie Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein oder gegen den Zeitgeist strömende Verteidigungstexte der Operette und sogar Analysen alpenländischer Volksweisen.
Henscheids Kennerschaft geht aber noch weiter. Denn er – Romancier, Schriftsteller, Satiriker des Jahrgangs 1941 – versteht sich auf den wahrlich virtuosen Umgang mit der Sprache. Kritisch und selbstkritisch bis in die letzte Satz- und Sinnverästelung. So findet der Leser reichlich Tiefsinn, aber niemals Hochnebel. Letzterer wabert ja recht oft und hartnäckig in einem Teil der Musikliteratur, dort, wo sich nach einem Wort von Karl Kraus die „ewige Feuilletonbüberei“ ausmachen lässt. Etliches davon lädt geradezu ein zur Satire wie übrigens auch die Oper als Gattung schon immer zur Persiflage anregte. Siehe Wagner.
Der Autor spielt mit unterschiedlichen Mitteln der Darstellung und Kritik: satirisch, anarchisch, absurd, philosophisch, sachlich und detailgenau. Das vorliegende Buch bietet eine Sammlung von gut 80 Texten und einer Reihe von Glossen und Kolumnen zur Musik, die in den vergangenen rund vierzig Jahren entstanden sind. Immer handelte es sich um publikums-adresssierte Texte: Manuskripte für Radiosendungen, Vorträge, Zeitungsartikel, Rezensionen, Künstlerinterviews und – unter dem Titel Die Musikplaudertasche – kurze Betrachtungen, die zwischen 1988 und 2000 in der Zeitschrift konkret veröffentlicht worden sind. Es fehlt nicht an gepflegten und manchmal auch weniger gepflegten, aber immer gut begründeten Seitenhieben auf den Kulturbetrieb und seine Vertreter.
Henscheid ist der musikinteressierten Leserschaft spätestens seit 1979 bekannt. Da erschien nämlich sein – auch in diesem Buch enthaltener – „Opernführer für Versierte und Versehrte“ unter dem alkohol-inspirierten Titel: Verdi ist der Mozart Wagners. Die Lektüre der zeitlich vorangehenden und folgenden Texte enthüllt, dass diese drei Komponisten und ihre Opern nie aus dem Zentrum seiner Aufmerksamkeit – und man darf wohl auch sagen: seiner Liebe – getreten sind. Doch viele kommen hinzu: Puccini, der „Halbsohn Verdis“, Schubert, Beethoven, Mendelssohn. Henscheid bekennt auch, wen er nicht mag: Sibelius und Rachmaninow zum Beispiel. Seine Musikbetrachtung greift kaum vor die Mozart-Zeit und auch nur ansatzweise in die Moderne, doch seine enorme Werkvertrautheit und die starke Urteilskraft lassen den Leser auch so schon genug staunen. Im Abschnitt Definitionen zitiert Henscheid Adornos „Oper ist, wenn der Bürger zum Menschen transzendiert“, kommentiert das anderswo einmal mit: schön wär’s – und meint es bestimmt ganz ernst.
Dank der vorbildlichen Gliederung des Buchs mit kleinteiligem Inhaltsverzeichnis und zwei Registern – nach Werken und Personen – kann man übrigens jederzeit problemlos finden und wiederfinden, wonach es einen gelüstet.
Kirsten Lindenau