Schwartz, Jay

Music for Orchestra/Music for Six Voices/Music for 12 Cellos/Music for Five Stringed Instruments

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6572 2
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 73

Die Musik von Jay Schwartz entwickelt sich fast immer aus der Stille. Sie hat einen langen Atem. Der Weg ist das Ziel bei diesen sich vorantastenden Klangentwürfen. Fast unmerklich ändern sich die Verhältnisse – alles fließt. Es gibt nicht viele Komponisten, deren Werke solch eine eigene Handschrift tragen wie die des in Köln lebenden, 1965 geborenen Amerikaners. Die Porträt-CD, die der Deutsche Musikrat in seiner Reihe “Edition zeitgenössische Musik” vorgelegt hat, zeigt die Unverwechselbarkeit dieser Musik.
Die Music for Orchestra (2005) beginnt mit einem feinen Rauschen, das zunächst immer wieder von Pausen unterbrochen wird. Ein hoher Violinton ist zu hören – wie vom Wind hergeweht. Aus dem scheinbar Zufälligen wird ein gleichmäßiger Puls, ein Einatmen und Ausatmen. Die auf der CD präsentierte Interpretation ist ein Livemitschnitt der Uraufführung des Werks durch das hr-Sinfonieorchester unter Diego Masson. Ganz organisch spielt das Orchester das allmählich wachsende Crescendo und die sich ein- und wieder ausschleichenden Glissandi, die durch die Stimmen wandern. Und wenn die melodischen Wellenbewegungen zu Sirenen werden, dann erzeugen die hr-Sinfoniker einen gehärteten, stählernen Klang. Immer wieder geben tonale Zentren Halt. Immer wieder sorgen harmonische Rückungen in Halbtönen für ungewöhnliche Hörerlebnisse. Bis dann am Ende des komplexen, wie ein Bogen gespannten Orchesterwerks eine einzelne, brüchige Streicherlinie übrig bleibt.
Auch in der Music for Voices (2006) arbeitet Schwartz mit langsam sich verändernden, bruchlosen Klängen. Die Stimmen der Neuen Vocalsolisten Stuttgart werden instrumental geführt. Ganz gerade, ohne jede klangfarbliche Veränderung ziehen die Solisten ihre Linien, die im Sopran (Sarah Sun, Susanne Leitz-Lorey) auch mal gleißend werden können. Mit chorischem Atmen bleibt der teilweise hochexpressive Klang immer erhalten – Bassist Andreas Fischer sorgt für die Erdung.
Wenn man den hoch liegenden Beginn der Music for 12 Cellos (2002) hört, kann man sich kaum vorstellen, dass hier ein Cello-Ensemble am Werk ist. Schwartz setzt nicht auf den sonoren Klang des Instruments, sondern sorgt mit Frequenzüberlagerungen für Verfremdung. Die Töne der zwölf Cellisten des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR klingen manches Mal wie geblasen, die drehenden Glissandi bohren sich ins Gehör. Am radikalsten klingt Jay Schwartz in der fragilen Music for Five Stringed Instruments (1997), die vom Kairos Quartett (Kontrabass: Matthias Bauer) präzise umgesetzt wird. Töne sind lange Zeit fast keine zu vernehmen, sondern vor allem Variationen des Rauschens. Am Ende kommt überraschenderweise für einen kurzen Moment eine klare rhythmische Struktur ins Spiel. Das Quintett fächert sich auf in einzelne Stimmen. Ein letztes Kratzen – dann ist Schluss.
Georg Rudiger