Unseld, Melanie

Mozarts Frauen

Begegnungen in Musik und Liebe

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Reinbek 2005
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 82

Der Titel dieser Neuerscheinung klingt nach Kolportage, Kitsch und Groschenroman – doch weit gefehlt: Melanie Unselds Buch ist spannend, seriös und höchst informativ! Der Gedanke, die Frauen in Mozarts Leben ins (rechte) Licht zu setzen, ist keineswegs nur der Idee geschuldet, einen „neuen“, noch nie dagewesenen Blick auf Mozarts Leben zu werfen – wie es für so manche Neuerscheinung im Mozart-Jahr gelten mag –, sondern erschließt sich bei der Lektüre als sinnfällig. War doch gerade Wolfgang Amadeus Mozart sein Leben lang umgeben von starken Frauenpersönlichkeiten, die sein Komponieren beeinflusst haben. Zu denken ist dabei nicht nur an seine Schwester Maria Anna Mozart (genannt Nannerl), welcher Wolfgang emotional sehr verbunden war und die er „als Pianistin und als erste Interpretin seiner Klavierkompositionen äußerst schätzte“, sondern auch an die Primadonnen des damaligen Wiener Theaterlebens, denen er so manche Partie in die Kehle schrieb.
Zu nennen sind hier an erster Stelle Catarina Cavalieri und Nancy Storace, aber auch seine Schwägerin Aloisia Lange (geb. Weber). Sehr deutlich rückt Unseld die im Laufe der Geschichte verschobenen Kräfteverhältnisse zurecht: Primadonnen wie Cavalieri und Storace waren die Stars des Wiener, ja des europäischen Musiklebens. Nicht sie waren es, die es nötig gehabt hätten, einen Komponisten von mittelmäßigem Erfolg um eine Soloarie zu bitten, sondern Mozart bediente sich ihres Ruhms, um seinen Opern zum Erfolg zu verhelfen.
Ein je eigenes Kapitel erhalten die Frauen, die in Mozarts Leben jeweils zentrale Positionen innehatten: die Mutter Anna Maria, die Schwester Nannerl und natürlich sein „allerliebstes Herzensweibchen“ Constanze Mozart (geb. Weber). Im Falle der Letzteren hat Unseld am meisten gegen tief sitzende Fehl- und Vorurteile anzukämpfen, gilt Constanze den meisten Biografen doch als „leichtlebige, dabei triebhafte Natur, sie gewährte Mozart – und vielleicht nicht nur ihm – erotische, zumindest sexuelle Befriedigung, wäre aber unfähig gewesen, ihm jenes Glück zu spenden, dessen ein Geringerer zu seiner Selbstverwirklichung bedurft hätte“ (Wolfgang Hildesheimer). Unseld stellt die liebevolle und partnerschaftliche Ehe von Constanze und Wolfgang heraus und betont Constanzes herausragende Rolle als Nachlassverwalterin nach Wolfgangs Tod: „Sie … stellte ihr ganzes weiteres Leben – immerhin noch 51 Jahre – in den Dienst des persönlichen, musikalischen und historischen Erinnerns an Wolfgang Amadeus Mozart. Sie legte damit den Grundstein für das bis heute ungebrochene Interesse an seiner Musik und seiner Biographie.“
Melanie Unselds Schilderungen sind sehr detailliert und lenken das Interesse auch auf Aspekte des Alltagslebens, lässt sich dieses doch gerade im Blick auf die Frauen in besonderer Weise dingfest machen. So muss es z. B. heutige Leserinnen und Leser erschüttern, welche alltägliche Rolle der Tod im damaligen Leben einnahm angesichts einer Kindersterblichkeit in Wien von über 40 Prozent! Von den sechs Kindern des Ehepaars Constanze und Wolfgang Mozart überlebten nur zwei, Mozarts Mutter Anna Maria brachte sieben Kinder zur Welt, von denen fünf nicht älter als ein Jahr wurden. Nicht zuletzt bietet dieses Buch somit auch eine kleine Sozialgeschichte Österreichs im 18. Jahrhundert.
Rüdiger Behschnitt