Lauer, Enrik / mit Regine Müller

Mozart und die Frauen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lübbe, Bergisch Gladbach 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 74

Enrik Lauers Buch ist eine kurzweilige Lektüre, in die so ziemlich alles einfließt, was auch nur im Entferntesten mit dem Thema zu tun hat. Denn die größte Herausforderung, der sich der studierte Germanist, Philosoph und Pädagoge stellt, ist die mangelhafte Information. Mit dem spärlichen Wissen und der reichhaltig vorhandenen, oft fabulierenden Sekundärliteratur der vergangenen Jahrhunderte jongliert Lauer und kreiert teilweise neue Ansichten auf längst Bekanntes. Um allerdings aus den spärlich dokumentierten Tatsachen ein Buch füllen zu können, muss er auf jedes erdenkliche Nebenthema wie z. B. die Einkünfte Mozarts ausweichen. Über die Frauen um Mozart ist wenig bekannt und das hat leider zur Folge, dass Lauer viele Seiten mit Fakten und noch mehr Spekulationen füllt, die oft nur sehr entfernt oder auch rein gar nichts mit Mozart zu tun haben.
Mozarts Mutter Anna Maria, seine Schwester Maria Anna, das Bäsle Maria Anna, seine große Jugendliebe Aloysia Weber, die Sängerin Nancy Storace und seine Ehefrau Constanze Weber werden vorgestellt. Gut, dass Lauer das Leben der Mutter nicht beschönigt und auch nicht verschweigt, dass Mozart möglicherweise eine gewisse Mitschuld am Tod der Mutter in Paris trifft, weil er sich nur um seine Karriere und zu wenig um seine kranke Mutter gekümmert hat. Mozarts Schwester Nannerl wird als bevorzugte künstlerische Gesprächspartnerin des Komponisten – vor allem im Bereich der Klaviermusik – erwähnt. Doch dieses Thema streift Lauer nur, um dafür seitenweise über Mozarts Kollegen Hadyn, Salieri oder Gluck auszuholen – nur eine von etlichen Fragwürdigkeiten, die sich in dem sonst flüssig zu lesenden Buch finden lassen.
Dem Bäsle widmet sich Lauer zwar amüsant, aber nicht allzu erhellend: „Mit der Art ihrer Beziehung haben sich die Mozart-Biographen meist eigentümlich verklemmt beschäftigt. […] Der an sich weder skandalösen noch weltbewegenden Frage – haben sie oder haben sie nicht? – wurde ein übergroßer Stellenwert beigemessen. Zu ihrer Beantwortung, meist einer Verneinung, wurden alle denkbaren Varianten biedermeierlicher Prüderie, putzigen Schmocks, verklemmter Diskretion und kleinbürgerlichen Miefs aufgeboten. Und was war nun wirklich? Wir wissen es nicht.“ Dabei hätte es der Autor genügen lassen sollen. Wie bedauerlich, dass er sich dann doch in die Reihe derjenigen eingliedert, die über diese wirklich unwichtige Frage ins Spekulieren geraten: „Unsere Vermutung war, dass es zwischen Wolfgang und Marianne Mozart zum eigentlichen Geschlechtsverkehr gar nicht gekommen sei.“ – So kann man die Seiten füllen!
Von Mozarts Ehefrau Constanze erhalten wir ein recht differenziertes Bild. Sie wird nicht etwa als zweite Wahl nach ihrer Schwester Aloysia vorgestellt, sondern als die Frau, die Mozart liebte und ihn unterstützte. Hier erfahren wir einiges über Krankheiten und Kuraufenthalte von Constanze und auch darüber, wie es Mozart in ihrer Abwesenheit erging. Auch über häufige Umzüge der Familie, über den Hang zum Luxus und wie knapp das Geld demzufolge im Haus Mozart war, wird anschaulich berichtet.
Eher plump und peinlich wirken die sehr gewollten Versuche, an einigen Stellen einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, wenn Lauer z. B. Nancy Storace in einem Atemzug mit René Fleming, Barbara Bonney und Nicole Kidman nennt und die beschönigenden Darstellungen von ihr mit heutiger weichzeichnender Bildbearbeitung vergleicht. Positiv dagegen, dass die Schilderungen der Frauenleben nicht etwa mit Mozarts Tod oder – wie es im Fall Aloysia Webers oder des Bäsles auch denkbar gewesen wäre – mit dem Ende der Beziehung zu Mozart enden, sondern erst mit dem Tod der jeweiligen Frau. Das heißt wir erfahren viel darüber, wie eine hochbegabte Pianistin wie Mozarts Schwester in einer Vernunftehe versauerte oder wie einsam und deprimierend das Leben der vormals sehr berühmten Sängerin Aloysia Weber endete.
Lauer hat gründlich recherchiert und weiß auf aufschlussreiche Art durchaus interessante sozialgeschichtliche Aspekte einzuflechten. Wer in anregender Weise einiges über die Erwartungen an junge Künstlerinnen, den Verlauf einer weiblichen Bühnenkarriere, den gesellschaftlich üblichen Umgang mit den Frauen in seiner Zeit erfahren möchte, hat hier die passende Lektüre.
Viola Karl