Frullini, Andrea Luigi

Mozart und der Vatermord

Das Trauma der Nachfolge

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Wien 2006
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 82

Der Buchtitel erregt sofort Aufmerksamkeit. Man denkt an Sigmund Freuds Thesen zur Urhorde, in der die Söhne den Vater töten, um die Macht zu erlangen und den Bestand der Sippe zu sichern. Die mörderische Tat verwundet dabei die Seele der Täter: Das meint das Trauma der Nachfolge. Der Sohn liebt und tötet, er bewundert und rivalisiert, will Schutz und doch Emanzipation.
Das gut dokumentierte Vater-Sohn-Verhältnis im Falle Mozart wird hier wohl, so erwartet es der Leser, entlarvt und tiefenpsychologisch aufgeklärt. Wolfgang Amadé im ödipalen Dreieck von Mama, Papa, Baby, seine Opern als Sublimierung des lauernden Tötungswunsches gegenüber Vater Leopold, die Familienkonstellation als pathologisch, aber oder gerade deswegen beispielhaft für die abendländische, ach was, für die Weltgeschichte in Werden und Vergehen verstanden.
Man ahnt es: An so einem Vorhaben kann man nur scheitern. Und das ist denn auch passiert. Leider nicht auf hohem Niveau. Einen hohen Rang besetzt die Schrift bloß auf der Skala der missratenen Bücher. Denn obwohl es davon viele gibt, kommt es bestimmt nicht oft vor, dass ein gänzlich überforderter Autor, eine sprachlich mangelhafte und fach- und sachlich fehlerreiche Übersetzung sowie ein Verlag, der das Buch offenkundig nie einem Lektor anvertraut hat, zusammenfinden.
Sollte man im Verlag auf den alles mitreißenden Sturm des Mozart-Jahrs spekuliert haben? Hat das 2001 veröffentlichte italienische Original überhaupt diesen fetzigen Titel? Der Leser kann es, wie fast alles im Buch, nicht überprüfen. Die Angabe fehlt. Über den Autor – Journalist und Musikkritiker – erfährt man, dass er an der vorliegenden Studie zehn Jahre lang gearbeitet hat. Falls diese Information – qua Mitleid – die Beißhemmung des Lesers und Rezensenten auslösen sollte, reicht sie nicht hin. Die Zumutungen des Buchs sind stärker. Frullini konnte weder in der Einführung noch im ausufernden Nachwort sagen, welches Thema er sich überhaupt gewählt hat. Vatermord und Nachfolge: Ja, aber in welchem Kontext? Als Frage nach den ehernen Regeln der Gesellschaftsbildung wie beispielsweise in Freuds Schriften Totem und Tabu und Jenseits des Lustprinzips? Geht es um Erziehungsstile in bürgerlichen Familien am Ende des 18. Jahrhunderts? Um Fragen von Macht und Politik im Lichte der Erbschaft von Rang und Vermögen? Geht es um eine Ideengeschichte der sie erklärenden Humanwissenschaften wie Anthropologie, Psychiatrie, Tiefenpsychologie mit ihrer Sonderform Psychoanalyse? Geht es nur um Mozart Vater und Sohn? Liefert der Verfasser einen Beitrag zur Kunstbetrachtung? Bringt er uns die Musik Mozarts näher?
Natürlich kann es anregend sein, über Gott und die Welt zu sprechen. Als durchaus prätentios auftretender Autor bietet Frullini mit seinem Buch allerdings bloß – zudem erschreckend ideenflüchtig geschriebenen – Kuddelmuddel. Er kann die verwendete Literatur durchgängig nicht einschätzen und zitiert beispielsweise mit der Mammutstudie über Religion und Magie Der goldene Zweig von James Frazer unreflektiert ein anthropologisches Werk aus dem 19. Jahrhundert, das seit rund 50 Jahren überholt ist. Mit Sigmund Freuds Begriffen, von denen etliche einen Rekord an Mehrdeutigkeit halten, namentlich der der „Identifikation“, hantiert Frullini, als seien sie probate Küchengeräte.
Von Kauf und Lektüre dieses unwürdigen Geburtstagsgeschenks für Mozart ist dringend abzuraten.
Kirsten Lindenau

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