Kreutziger-Herr, Annette (Hg.)
Mozart im Blick
Inszenierungen, Bilder und Diskurse
Jede Zeit hat ihren Mozart. Und der vermag manches Mal mehr über jene zu verraten, die ihn genau so und nicht anders erschaffen haben, als über die wahre historische Vorlage, sofern es die in einer solchen Wahrheit überhaupt gibt. Gedenktage tun da oft ein Übriges. Jenseits einer solchen Festivität stellt Annette Kreutziger-Herr einen Diskurs vor, wie er im Zuge des Mozart-Jahres an der Hochschule für Musik in Köln geführt wurde. Mozart im Blick ist die um einige Texte erweiterte Druckfassung einer Ringvorlesung. Praktiker und Theoretiker, ausgewiesene Mozart-Spezialisten und Kulturtheoretiker liefern ihre Sicht auf Mozart-Bilder; was hier produktiv zusammengetragen wird, stellt die gewinnbringende Dekonstruktion diverser, mehr oder weniger obsoleter, aber in den meisten Fällen umso renitenterer Mozart-Mythen dar.
Dass es da in einem sehr breiten ersten Teil um Fragen der Erinnerungskultur, der Historiografie geht, um die Ebenen der Konstruktion von Mozart-Bildern, ist nicht verwunderlich in dieser Konsequenz dennoch verblüffend. Problemfelder wie Mozart-Aufbereitung für Kinder werden da ebenso eingeschlossen wie die Suche nach einem Mozartschen Stil in der Neuen Sachlichkeit. Vor allem sind es aber Melanie Unselds Überlegungen über die soziale Rolle und Funktion von organisiertem Gedenken oder die Dekonstruktion von Wolfgang Hildesheimers Mozart-Buch und Alfred Einsteins Mozart-Biografie durch Martin Geck bzw. Gesa Fink, die die Lektüre lohnen; ganz besonders auch, weil hier die Rezeption von Wissenschaft zum Gegenstand gemacht wird.
Darüber hinaus wendet man sich sehr konkreten Mozart-Bildern zu. Inszenierung und in gewisser Weise Inszenierbarkeit von Don Giovanni ist ein solches Feld. Dabei kommt Aspekten der Frauen- und Geschlechterforschung eine nicht unwesentliche Rolle zu einmal mehr natürlich im Kontext der Zauberflöte, ganz besonders aber in Birgit Kiupels, Mechthild Georgs, Caterina Maiers und Karola Pavones Diskurs (aus der Praxis) über Dienstbotinnen in Mozarts Opern. Kiupel ist es auch, die mit ihren herrlich frechen Grafiken dem Band ein weiteres Plus hinzufügt.
Und schließlich wendet sich ein letzter Teil sehr konkreten und partiell recht unterhaltsamen Dingen zu, die die Mozart-Forschung gern vergisst. Dass dabei die Frage nach den Gründen für dieses Vergessen nicht außer Acht gelassen wird, ist zweifelsohne ein Gewinn.
Trotz der Vielfalt der Themen, der Bilder, die hier behandelt werden, und der Formen von Bildhaftigkeit ist dieses Buch von bemerkenswerter Geschlossenheit. Kreutziger-Herr wendet sich einem Desiderat musikologischer Forschung zu. Man wünschte sich mehr solcher mutiger Dekonstruktionen; denn entsprechend prägende Mythen weisen Musikgeschichte und -kultur weit mehr auf, auch wenn Mozart nicht zuletzt dank erfolgreichster Marketingkonzepte einer der exemplarischsten Fälle ist.
Tatjana Böhme-Mehner