Solomon, Maynard

Mozart

Ein Leben

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 72

Bisher war der Musikwissenschaftler Maynard Solomon, Dozent an der Juilliard School in New York und wissenschaftlicher Berater des Beethoven-Archivs Bonn, vorwiegend als Verfasser von Beethoven-Biografien bekannt. Nun ist auch in Deutschland seine umfangreiche Mozart-Lebensbeschreibung herausgekommen. Darin nimmt er kräftige Korrekturen am bisherigen Mozart-Bild vor. Kein Götterliebling, kein Ende im Elend! Und was die konspirativen Theorien über Mozarts Beziehungen zum Freimaurertum betrifft, so sagt Solomon ehrlich und lapidar: „Letzten Endes tappen wir im Dunkeln.“
Solomon räumt auf mit dem Mythos vom ewigen Kind; er geht sehr kritisch auf die Vaterrolle von Leopold Mozart ein und sieht in ihm ein extremes Beispiel eines geradezu zwanghaft die Familie hochhaltenden Paternalismus. Die teilweise recht bewegenden Schilderungen der Gefühlswelten der Familie Mozart quasi von der Wiege bis zur Bahre nehmen einen großen Teil dieses Buchs ein. Richtig spannend wird die Lektüre dieser unterhaltsamen, laut Verlag „bahnbrechenden“ Lebensbeschreibung, wenn Solomon vom oft Spekulativen abgeht und sich analytisch mit dem Kompositionsstil von Wolfgang Amadeus Mozart auseinander setzt. Dass in Mozarts Werken kein einheitlicher, sich durch alle Werkgruppen zu definierender Stil auszumachen sei, sei durch die „Unterordnung des Künstlers unter die Tradition“ bedingt, dessen Größe wiederum darin bestehe, dass jener die „Subjektivität zugunsten einer vollkommenen, klassischen Objektivität“ zurückgedrängt habe.
Mit den Mythen, dass Mozart ein neutrales Gefäß sei, in das göttliche Kräfte geflossen seien, oder einfach „nur Musik machte, wie eine Seidenspinne Seide spinnt“, räumt der Autor ebenfalls gründlich auf. Mozart habe einfach gelernt, sich andere Komponisten zum Vorbild zu nehmen, traditionelle Formen zu imitieren und „Meisterschaft in anerkannten Stilrichtungen zu zeigen“. Das erkläre, warum Mozart letztendlich zu unterschiedlichen Zeiten eine jeweils individuelle Tonsprache in den verschiedenen Gattungen entwickelte. Seine Unabhängigkeit von den Vorbildern der Zeit, seine wahre Genialität habe sich erst in den 1770er Jahren in den Salzburger Divertimenti, Serenaden, Violinkonzerten und in den beiden Sinfonien KV 183 und KV 201/186 gezeigt.
In mehreren Kapiteln geht Solomon speziell auf Mozarts Serenadenstil ein und verweist darauf, dass es sich bei diesen Kompositionen keineswegs um die typische, idyllische, pastoral gefärbte Gebrauchsmusik jener Zeit handelte, sondern um Werke, die erfüllt seien von einer diffusen psychologischen Indifferenz, in der Mozart ironisch versucht, die Sentimentalität und Langeweile der arkadisch-pastoralen Formeln zu sprengen und nicht zuletzt die gegenseitige Durchdringung widerstrebender Gefühle zu zeigen.
Kein Mozartbuch ohne abschließende Gedanken zur „Macht der Musik“, über die kathartische Wirkung der späten Mozart-Opern und deren utopische Versprechungen – so auch hier. Nicht zuletzt der sehr umfangreiche Anhang, unter anderem mit Ausführungen zu Mozarts Wiener Einnahmen, macht dieses Buch höchst informativ und lesenswert.
Dagmar Zurek