Mendelssohn, Arnold
Motetten zur Weihnacht / Deutsche Messe op. 89
Um die Bach-Pflege haben sich auch noch spätere Generationen der Mendelssohns verdient gemacht. Arnold Ludwig Mendelssohn, Sohn eines Vetters 2. Grades von Felix Mendelssohn, ist noch einen Schritt weiter gegangen als Felix und hat als Vorstandsmitglied des Verbands der Evangelischen Kirchenchöre entscheidenden Einfluss auf die Verankerung des Werks von Bach und Schütz im gottesdienstlichen Leben genommen.
Eine gründliche musikalische Ausbildung hatte der 1855 geborene Arnold Mendelssohn am Institut für Kirchenmusik in Berlin erhalten. Schon mit 25 Jahren war er Universitätsdirektor in Bonn und Organist an der dortigen Kreuzkirche geworden, es folgten Anstellungen als Musikdirektor in Bielefeld, als Kompositionslehrer am Konservatorium in Köln, und ab 1890 schließlich die lebenslang (er starb 1933) gehaltene Funktion des Kirchenmusikmeisters für die Evangelische Landeskirche in Hessen, die für ihn in Darmstadt, dem neuen Wirkungsort, willkommener Anlass für zahlreiche eigene kirchenmusikalische Kompositionen und zur Aufführung der Werke von Schütz und Bach gewesen war.
Das Vorbild von Heinrich Schütz stand Pate in seiner Titelgebung Geistliche Chormusik für die Sammlung von Motetten, die Mendelssohin den Jahren 1923 und 1924 komponiert hat. Drei achtstimmige Werke aus diesem Opus 90 hat nun das SWR Vokalensemble Stuttgart veröffentlicht und sie mit Mendelssohns 1923 im Druck erschienener Deutschen Messe op. 89 für achtstimmigen gemischten Chor gekoppelt. Als Gast ans Pult geholt hat man sich hierfür Frieder Bernius. Die Aufnahmen entstanden sukzessive in den Jahren 2008 bis 2011 und sie lassen erkennen, dass es Bernius hier mit unterschiedlichen Besetzungen des SWR Vokalensembles und auch technisch unterschiedlichen Aufzeichnungsparametern zu tun hatte. Jener spektakulären und atemraubenden Klanghomogenität und jener kristallinen Transparenz der Textur, die Bernius gewöhnlich mit seinem Kammerchor Stuttgart erreicht, begegnet man hier nicht im selben Maße. Vor allem im Forte neigt das SWR Vokalensemble bisweilen zu einer weniger die Linien auffächernden, als sie vielmehr legierenden Klangphilosophie. Und das liegt wohl gewiss nicht allein an der äußerst komplexen Satzstruktur, die Arnold Mendelssohn seiner Musik einschreibt.
Bernius gelingt auf der anderen Seite auch mit diesem, seine Eigenart eines Solistenensembles vergleichsweise nicht immer ganz so perfekt zurückdrängen könnenden Klangkörper eine ruhige und schwebungsarme Tonfokussierung. Er schafft mit den feinnervig ausgesungenen Phrasen und Klangbögen, den locker verketteten Tongirlanden, der dynamisch lebendig abgestuften und im Ausdruck voller leuchtender Intensität gehaltenen, aber, wo es angemessen erscheint, in den Konturen bewusst auch einmal nur schemenhaft bleibenden Herangehensweise, mit seiner stets unter lebhafter Spannung gehaltenen Aufschlüsselung der vielfältigen kompositorischen Struktur und nicht zuletzt der im Gestus zielführenden Konzentration auf eine differenzierte Auslegung des zugrunde liegenden Textes eine durchweg fesselnde Atmosphäre.
Thomas Bopp