Grieg, Edvard
Morgenstimmung
Peer Gynt op. 23 Nr. 13, Faksimile der autographen Partitur
Lieber Herr Grieg! Ich schreibe Ihnen, um Sie zu fragen, ob Sie sich an einem Projekt beteiligen wollen, das ich auszuführen gedenke. Es handelt sich um folgendes: Ich beabsichtige, ,Peer Gynt [
] für die Bühne zu bearbeiten. Würden Sie die nötige Musik dazu schreiben? Dieser Brief vom 23. Januar 1874 bedeutet nichts weniger als die Geburtsstunde für eine der beliebtesten norwegischen Musiken überhaupt. Denn als Henrik Ibsen seine fantastische Dichtung zu einem fünfaktigen Bühnendrama überarbeitete, benötigte er eine veritable Schauspielmusik bestehend aus Vor- und Zwischenspielen, Tänzen, Gesängen, Melodramen und gelegentlich auch nur musikalischer Untermalung. Die insgesamt 23 Nummern, die in den folgenden zwei Jahren entstanden, bildeten für Grieg gewissermaßen den Höhepunkt seiner lang ersehnten, doch nie realisierten Karriere als Bühnenkomponist: Bereits 1872 hatte er eine Szenenmusik zu Bjørnstjerne Bjørnsons Drama Sigurd Jorsalfar geschrieben, aus dem Jahr 1873 datieren die wenigen Nummern zu der Fragment gebliebenen Oper Olav Trygvason.
Die Uraufführung des Peer Gynt und seiner Musik fand am 24. Februar 1876 in Oslo statt insgesamt fünf Stunden und ein durchschlagender Erfolg (allein in jenem Jahr wurde das Werk 37 Mal gegeben). Erst 1888 stellte Grieg aus den zahlreichen einzelnen, teilweise stark mit dem Bühnengeschehen verknüpften Nummern eine viersätzige Suite zusammen, die im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Carl Reinecke erstmals erklang; die zweite Suite folgte 1893.
So ist es eine schöne Idee, zum Grieg-Jahr (100. Todestag) ein Faksimile gerade der beliebten Morgendämmerung herauszubringen ein Stück, das oftmals als Klang gewordene norwegische Landschaft rezipiert wird, das aber im Drama zu Beginn des 4. Akts die ersten Stunden des Tages an der Südwestküste Marokkos (!) darstellt. Doch auch das Faksimile ist eine Maskerade, handelt es sich doch nicht um das Stück aus der Suite (bei dem kurz vor Schluss noch elf weitere Takte einfügt wurden), sondern um das Autograf der Bühnenmusik, die Grieg für eine Aufführung im Januar 1886 im Kopenhagener Dagmartheater revidierte. Dies belegen zahlreiche Rasuren, die vor allem Veränderungen in der Instrumentation und der Begleitbewegung nach sich zogen.
Man muss das knapp gehaltene Nachwort von Finn Benestad schon genau lesen, um diese etwas verworrenen Zusammenhänge zu begreifen und dennoch bleiben Fragen offen. Denn warum notierte der Kopenhagener Kapellmeister bei der Aufführung eine 14 auf der Titelseite, wo es sich doch eigentlich um das op. 23/13 handelt? Die Qualität der gegenüber dem Original verkleinerten Reproduktion ist ordentlich, die Ausgabe lediglich geheftet.
Michael Kube