Steinthaler, Evelyn
Morgen muss ich fort von hier
Richard Tauber: Die Emigration eines Weltstars
Lange vor dem Phänomen der drei Tenöre überwand Richard Tauber souverän die Grenzen zwischen E- und U-Musik. Einerseits galt er in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als einer der bedeutendsten Mozart-Tenöre, andererseits feierte er bald weltweit als Interpret der Musik des Komponisten Franz Léhar größte Triumphe. Trotz aller Erfolge und Popularität war Tauber nicht unumstritten: Der Satiriker Karl Kraus schmähte ihn als Schmalztenor, während der Stimmexperte Jürgen Kesting nicht nur den Léhar-Interpreten lobte, dem es gelang, den Kitsch vor der Unerträglichkeit zu bewahren, sondern auch den Mozart-Interpreten.
Evelyn Steinthaler hat nun eine neue, quellenkritische Biografie des Künstlers vorgelegt, die die Jahre des Exils mehr als bislang gewohnt ins Zentrum rückt. Auch wenn sie den Vergleich der Bedeutung Taubers mit der von Caruso enervierend oft wiederholt, gelingt der Autorin anhand der Dokumente und Materialien aus dem Nachlass des Sängers eine Annäherung an Tauber, die eine Verklärung meist meidet. Steinthaler erzählt in Morgen muss ich fort von hier die Geschichte dieses Superstars der 1920er Jahre detailreich, aber zumeist mit genügend Distanz.
Mit dem letzten Auftritt Taubers als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni bei einem Gastspiel der Wiener Staatsoper im Londoner Covent Garden endete am 27. September 1947 die Bühnenlaufbahn des Tenors. Obwohl er damals nur noch einen Lungenflügel hatte, belegen Zeugnisse die musikalische Intensität seines Gesangs. Ein halbes Jahr später starb er an Lungenkrebs.
In ihrer Biografie zeichnet Steinthaler das Bild eines Unbehausten, eines Theaterkinds, unehelich als Sohn der Soubrette Betty Seifferth und des späteren Theaterdirektors Richard Tauber geboren. Der Vater adoptierte ihn schließlich 1913. Dass der Vater Jude wenn auch römisch-katholisch getauft war, wurde Tauber ab 1933 in Deutschland trotz seiner immensen Popularität zum Verhängnis. Trotz einiger recht naiv anmutender Anbiederungen an das Naziregime war für ihn in Hitlers Deutschland und nach 1938 auch in Österreich kein Platz mehr. Die Jahre des Exils werden sprachlich dicht nachgezeichnet, und es wird der Mensch sichtbar hinter dem von Tauber oft selbst gesteuerten medialen Bild. Natürlich finden die gewaltigen Erfolge ebenso wie das turbulente Privatleben entsprechenden Raum, aber Steinthaler vermeidet das Voyeuristische. Auch die späte Wandlung des unpolitischen Sängers, Komponisten und Dirigenten wird deutlich: Im englischen Exil findet Tauber zu klaren Worten über die Nazidiktatur. Tauber, dessen Vermögen von einer Million Reichsmark von den Nazis beschlagnahmt wurde, erhielt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine Entschädigung. Auch wurden von Österreich keine Anstrengungen unternommen, ihn zurückzuholen.
Ein wichtiges Buch, das mit vielen Legenden und Verzeichnungen aufräumt. Steinthaler weist zurecht darauf hin, dass der Name Richard Tauber für eine lang verlorene Form der Operette steht, als diese noch von künstlicher Übertreibung, frivoler Sinnlichkeit, unendlicher Dramatik, anarchischer Verspieltheit und unbändiger Lebensfreude geprägt war.
Walter Schneckenburger