Ruhnke, Ulrich

Mobbing und Mediation

Handeln bevor es zu spät ist. Gespräch mit Gottlob Schmücker, Konfliktberater und Mediator

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 26
Der Kammer- und Orchestermusiker Gottlob Schmücker ist Mitglied des Konfliktberater-Netzwerks von ver.di Bayern und Mitbegründer des Arbeitskreises Mobbing-Abwehr Augsburg. Zuletzt ließ er sich bei Georg Vogel (Komed München) nach den Richtlinien des Bundesverbands Mediation zum Mediator ausbilden. Vom Orchesterstuhl aus kennt er unzählige Varianten von Konflikten innerhalb großer oder kleiner Gruppen. Als hauptamtlicher Personalrat ist er erfahren darin, wie verschiedene Parteien ihre Interessen vertreten und durchsetzen wollen.

Kommunikation, Mediation, Mobbing – wo ist der Zusammenhang?
Eine gute betriebsinterne Kommunikation ist für ein Orchester genauso wie für ein Wirtschaftsunternehmen entscheidend. Nur wenn die Kommunikation und das Betriebsklima in Ordnung sind, kann dauerhaft die maximale Leistung erbracht werden. Stimmt die Kommunikation nicht und bleiben Konflikte über einen längeren Zeitraum ungelöst, können aus diesen Konflikten Mobbingfälle entstehen. Der Mediation kommt insofern eine Doppelfunktion zu: Zum einen können bestehende Konflikte und Mobbingfälle mittels Mediation gelöst werden, zum anderen kann sie schon in einem frühen Stadium einer Auseinandersetzung hilfreich dabei sein, die Situation zu bereinigen und einen dauerhaften Konflikt erst gar nicht entstehen zu lassen.

Zu welchem Zeitpunkt genau ist eine Mediation Ihrer Meinung nach sinnvoll? Nicht jeder Streit muss sofort mediiert werden.
Mediation ist auf jeden Fall immer dann sinnvoll, wenn Konflikte zeitnah gelöst werden müssen. Wir wissen ja alle, wie lange Prozesse vor Gericht heute dauern können und damit auch das Warten darauf, möglicherweise ein für sich selbst positives Rechtsurteil zu bekommen. Andererseits enden gerade die Arbeitsprozesse nicht selten mit einem für beide Seiten unbefriedigenden Ergebnis. Die gerichtliche Auseinandersetzung sollte meiner Ansicht nach immer nur die letzte Option sein, wenn vorher alle anderen Versuche der Konfliktlösung bereits hoffnungslos gescheitert sind. Vor allem auch deshalb, weil ich als Betroffener bei der Mediation aktiv an der Lösung des Konflikts und ihrer konkreten Ausgestaltung mitarbeiten kann. Bei einem gerichtlichen Verfahren gebe ich alles aus den Händen und überlasse dem Richter, wie die Lösung am Ende aussehen wird. Nicht zuletzt ist die Mediation wesentlich billiger als ein Gerichtsverfahren.

Würden Sie die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit bei einer Mediation als wesentlichen Grund dafür benennen, dass Mediationen in der Sache meistens nachhaltiger und wirkungsvoller sind als ein Richterspruch?
Das würde ich schon sagen. Vor Gericht ist es ja in der Regel so, dass einer der beiden Streitenden als Verlierer aus dem Verfahren hervorgeht. Das lässt bei ihm Frust entstehen, der die Kommunikation mit dem Streitpartner erneut und zusätzlich belastet. Das Ziel der Mediation dagegen ist eine Win-win-Situation, also ein Ergebnis, das beide Seiten zufriedenstellt und nicht in Gewinner und Verlierer teilt.

Ist Mediation nur zwischen zwei einzelnen Personen oder auch zwischen Gruppen möglich?
Es geht grundsätzlich beides. Wenn die Gruppen eine bestimmte Größe überschritten haben, ist es allerdings sinnvoll, einen Ko-Mediator hinzuzuziehen.

Sie haben von Mobbing gesprochen. Was genau bezeichnet dieses Wort eigentlich?
Der Begriff Mobbing ist Anfang der 1990er Jahre von dem schwedischen Arzt und Psychologen Heinz Leymann in die Arbeitswissenschaft eingebracht worden. Nach seinem Verständnis beschreibt Mobbing eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Die angegriffene Person ist in der Regel unterlegen, wird von einer oder mehreren Personen systematisch über einen längeren Zeitraum direkt oder auch indirekt angegangen. Ziel des Mobbings ist der Ausstoß aus dem Arbeitsverhältnis. Eine juristische Definition von Mobbing gibt es zwar nicht, aber es gibt eine Formulierung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1997, an der man sich immer wieder orientiert: „Mobbing ist ein systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte.“ Wobei ich mir erlaube anzumerken, dass das Bundesarbeitsgericht versäumt hat zu erwähnen, dass Mobbing durchaus auch von unten nach oben – also von Untergebenen gegenüber dem Vorgesetzten – praktiziert werden kann. Klassischer Fall: Der neue Abteilungsleiter will alles umkrempeln, bekommt von den Mitarbeitern aber so viel Gegenwind, dass er seine Position wieder räumt.

Lässt sich ein Punkt definieren, an dem Mobbing konkret anfängt?
Mobbing beginnt in der Regel schleichend. Wenn jemand z.B. seinen Kollegen einmal nicht grüßt, ist das noch kein Mobbing. Wenn sich das aber wiederholt und der Gruß dauerhaft verweigert wird, muss man von Mobbing sprechen. Der Nichtgegrüßte wird durch das Verhalten quasi in einen isolierten Raum gestellt, aus dem er von alleine nicht mehr heraus kann.

Gibt es typische Mobbingopfer?
Nein, das kann man so sicher nicht sagen. Aber es gibt – so zeigen es Untersuchungen – Berufe, in denen Mobbing verbreiteter ist als in anderen. Besonders viel Mobbing gibt es erstaunlicherweise in sozialen Berufen. Ganz generell gibt es zudem mehr Frauen als Männer, die Opfer von Mobbingangriffen werden.

Was können die Gründe dafür sein, dass jemand gemobbt wird?
Das können ganz vielfältige Gründe sein. Zum Beispiel, dass jemand unerwünschte Kritik geäußert hat, dass er als Konkurrenz empfunden wird oder den Neid der Kollegen auf sich zieht. Oder dass der Vorgesetzte den Untergebenen loswerden will. In etwa acht Prozent der Fälle kommt es aber auch vor, dass der Gemobbte keine Ahnung hat, warum ihm Mobbing widerfährt. Wesentliche Ursachen für Mobbing sind aber auch in der ungenügenden Organisation der Arbeit zu finden, dass also Positionen und Arbeitsverteilungen nicht ausreichend klar geregelt sind. Auch die mangelnde Sozial- und/oder Führungskompetenz von Vorgesetzen ist ein entscheidender Punkt.

Gibt es einen typischen Mobbingverlauf?
Am Anfang steht immer ein nicht aufgearbeiteter Konflikt, der über einen längeren Zeitraum vor sich hingeschwelt hat. Dann kommen die ersten Mobbinghandlungen, die man aber noch nicht so bezeichnen kann, weil sie nicht über einen längeren Zeitraum und zunächst auch noch nicht systematisch durchgeführt werden. Erst wenn sie sich zu einem konsequenten, systematischen Handeln verdichten, kann man von Mobbing sprechen. Wobei natürlich auch gesagt werden muss, dass ein bewusstes Aussetzen von Mobbinghandlungen, die dem Gemobbten quasi Kampfpausen zur Erholung gewähren, das Mobbing nicht unterbrechen oder aufheben. In diesem Fall würde man trotz Pausen von Mobbing sprechen.

Nachdem sich Mobbing etabliert hat – wie geht es dann weiter?
Beim Gemobbten machen sich erste Stress-Symptome bemerkbar, die sich bei voranschreitendem Mobbing zu Angst, Erschöpfung, Verwirrung und Depression auswachsen können. Der inneren Kündigung des Gemobbten folgt nicht selten die reale Kündigung, entweder durch ihn selbst oder durch den Vorgesetzten. Es gibt Mobbingfälle, die sogar im Suizid oder im versuchten Suizid geendet haben.

Gibt es orchestertypische Mobbinghandlungen?
Ja, die gibt es leider. Dazu gehört z.B. eine ungerechte Dienstein­teilung, das Ohrenzuhalten, wenn ein bestimmter Kollege spielt, Kopfschütteln, Lachen über Fehler, demonstratives Loben, wenn eine Aushilfe spielt, absichtliches Nichtintegrieren in die Gruppe usw. Das geht sogar bis zu Manipulationen am Instrument oder den Noten.

Leidet unter Mobbing nur der Gemobbte oder auch der ganze Betrieb?
Wenn ein Arbeitnehmer durch Mobbing aus seinem Beruf, möglicherweise sogar in die Frührente gedrängt wird, entsteht immer auch ein Schaden für das Unternehmen oder das Orchester, das in der Folge einen neuen Mitarbeiter einarbeiten muss, was Zeit und Geld kostet. Auch volkswirtschaftlich stellt eine solche Frührente, oder überhaupt jede notwendig gewordene Unterstützung durch die sozialen Sicherungssysteme, einen erheblichen Kostenfaktor dar. Doch schon vorher entstehen indirekte Kosten dadurch, dass sowohl der Mobber als auch der Gemobbte einen großen Teil ihrer Zeit und Energie nicht in ihre Arbeit, sondern in den Konflikt investieren. Nicht selten sind auch die Familienmitglieder des Gemobbten durch die ungute Situation stark belastet, was negative Auswirkungen auch auf deren Arbeitsproduktivität und Gesundheit hat. Von den Kosten für das Gesundheitswesen, die die Arztbesuche infolge des Mobbings verursachen, einmal ganz abgesehen.

Wie verbreitet ist Mobbing denn?
Man kann davon ausgehen, dass elf Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Laufe ihres Berufslebens einmal gemobbt werden. In einer Gruppe von hundert Personen sind das also immerhin schon elf, die entsprechende negative Erfahrungen gemacht haben. Von einem Ausnahmephänomen kann man hier also nicht mehr sprechen.