Beethoven, Ludwig van

Missa Solemnis

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao Classics B 108053
erschienen in: das Orchester 10/2010 , Seite 73

Der Dirigent Enoch zu Guttenberg gehört zweifellos zu den Ausnahmeerscheinungen im Musikleben unserer Zeit, da er sich mit seiner Arbeit schwer einer der geläufigen interpretatorischen Richtungen zuordnen lässt. Er ist kein Vertreter einer aus der Spätromantik kommenden Musiziertradition, wiewohl er auf große Gefühle und erhabene Momente aus ist. Er ist aber auch kein strikter Anhänger der historisch informierten Aufführungspraxis, auch wenn er deren Mittel bewusst aufgreift. Zum Beispiel beim sparsamen und sehr überlegten Einsatz des Vibratos. Enoch zu Guttenberg geht es um die Aussage, um die Botschaft eines musikalischen Kunstwerks. Deren möglichst sprachgewaltige Vergegenwärtigung ist sein Ziel. Und er weiß, dass dies am besten gelingt, wenn der spezifische stilistische Rahmen respektiert wird, wenn Ton und Ausdruck in Einklang miteinander stehen. Die großen Bekenntniswerke der Musikgeschichte gehören zu des Dirigenten bevorzugtem Repertoire – und da insbesondere die großen oratorischen Werke des Barocks und der Wiener Klassik.
Nun liegt die Aufnahme der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven als Mitschnitt eines Konzerts vom 7. März 2009 aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz vor. Neben dem Orchester der Klangverwaltung und den Solisten Susanne Bernhard, Anke Vondung, Pavol Breslik und Yorck Felix Speer wirkt der 2000 gegründete Kammerchor der KlangVerwaltung mit. Enoch zu Guttenberg setzt hier also auf ein kleines Ensemble und nicht auf seine groß besetzte Chorgemeinschaft Neubeuern. Dadurch erreicht er bei den Chorpartien mehr Beweglichkeit und Klarheit. Beides sind denn auch prägende Tugenden dieser Einspielung.
Hinzu kommen eine bestechende Prägnanz in der Modellierung der Motive und Themen, große Durchhörbarkeit des Satzes, ausgefeilte Artikulation und pointierte Akzentgebung. All das wird eingebunden in ein feurig intensives Musizieren, das dieser Wiedergabe vom ersten Takt an packende Spannkraft und leidenschaftlichen Furor vermittelt. Ennoch zu Guttenberg trifft so den existenziellen Kern des Werk sehr nachhaltig und ohne Einschränkung. Zugleich aber bietet er eine Beethoven-Interpretation auf der Höhe der Zeit in fließenden Zeitmaßen, klar aufgefächerter Faktur und beredter Phrasierung.
Die Wiedergabe ist pathosfrei und zugleich von begeisterter und begeisternder Leidenschaft. Es ist ein gestochen scharfer und zugleich bewegend emotionaler Beethoven. Die Partitur erscheint leuchtend klar und uneingeschränkt in ihren Extremen. Gerade so entfaltet sie ihre persönliche Botschaft, ihr Ringen um elementare Fragen von Gott, Welt und Mensch so außerordentlich tief und anrührend. Exzellent agieren die vier Solisten mit überaus schlanken und kultiviert geführten Stimmen. Kammermusikalischer Feinschliff trotz satter Klangfülle auch beim Chor und Orchester. Berückend ebenmäßig das Violinsolo im Benedictus von Andreas Reiner.
Karl Georg Berg