Werke von Kaija Saariaho und Jean Sibelius

Mirrors

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello Classics COV 51308
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 82

„Wie klingt Finnland?“, fragt sich der Beiheft-Autor. Und prompt tauchen sie auf: die weiten Schneelandschaften und die hellen Mitsommernächte, Ruhe und Stille. Auch die im Unabhängigkeitskampf gewonnene Beharrlichkeit. Sind Melancholie und Überschwang, Gelassenheit und innere Stärke tatsächlich Konstanten finnischer Musik? Klanglich scheinen sie Welten zu trennen: den Tondichter Jean Sibelius, Erzvater der finnischen Kunstmusik, und die 1952 in Helsinki geborene Komponistin Kaija Saariaho, die nach Frankreich entflog, sich dem Pariser Spektralistenkreis anschloss und zur Lichtgestalt zeitgenössischer Tonkunst wurde.
„Träumerin fragiler Träume und Sucherin neuer Welten“, so nannte sie der finnische Musikwissenschaftler Risto Nieminen. Sie erschafft hörbare Lichtbrechungen und Spiegelwelten, suggeriert Raumtiefen, mythische Landschaften, Sternenstaub – von Verblendungen für Orchester und Tonband (1984) zu Mirage für Violoncello, Sopran und Orchester (2007), von der Oper L’amour de loin (2000) bis zum Melodram Émilie (2008).
Ihre Musik gleicht einer Laterna magica aus transparenten Klängen, Echos, Ober- und Schattentönen, Spiegelreflexen. Wie in Mirrors für Flöte und Violoncello (1997): ein ursprünglich für eine CD-ROM entstandenes variables Stück, mit dem das vorliegende „Doppelporträt“ beginnt. Wobei der Komponistin eine multiple Spiegelung der Rhythmen, Stimmungen, instrumentalen Gesten und Klangfarben vorschwebte. Stephanie Winker (Flöte) und Frank-Michael Guthmann (Violoncello) tragen eingangs die gedruckte Lesart vor. Am Ende des CD-Recitals bieten sie ihre eigene Version.
Auf einen psychedelischen Text der mexikanischen Schamanin und Wunderheilerin Maria Sabina schuf Saariaho 2007 das erwähnte „Trugbild“ für Sopran, Violoncello und Orchester (alternativ: Klavier) – mentale Höhenflüge und Höllenstürze, die Katharina Persicke, Frank-Michael Guthmann und Pauliina Tukiainen schwindelerregend nachvollziehen.
Im selben Jahr vollendete sie einen Liederzyklus nach Gedichten von Eino Leino, dem großen Erneuerer der finnischsprachigen Lyrik: vier Leinolaulut (Leino-Lieder) für Sopran und Orchester. 2011 erschienen sie mit Anu Komsi und dem Finnischen RSO bei Ondine (vgl. NZfM 2/2012, S. 78). Katharina Persicke und Pauliina Tukiainen stellen sie hier nun als farbschimmernde Klavierlieder vor. Die menschliche Stimme ist für die Komponistin ein Ausdrucksmedium sondergleichen: licht und trüb, dumpf und glänzend, schrill und verhalten. Wie die Verskunst des Dichters.
Wie schlicht dagegen die romantische Liederwelt von Jean Sibelius. Zumal die frühen Zyklen op. 36 und 37, aus denen die Sopranistin und ihr Bariton-Partner Henryk Böhm die beliebtesten auswählen, darunter Den första kyssen (Der erste Kuss) und Flickan kom ifrån sin älsklings möte (Das Mädchen kam von ihrem Liebsten). Dazu das selten gehörte Duett Tanken (Der Gedanke) auf Verse des schwedischsprachigen Finnen Johan Ludvig Runeberg. Gediegener der deutschsprachige Zyklus op. 50, aus dem Henryk Böhm einige Perlen pflückt (wie Richard Dehmels Aus banger Brust) und mit Empathie vorträgt.
Lutz Lesle

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