Miriam’s Song
Music by Jewish women composers
Zum 29. Geburtstag seiner Ehefrau Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, entwarf der Maler Wilhelm Hensel ein Bild, auf dem Felix Mendelssohns Schwester in Gestalt der biblischen Mirjam als Leitfigur der Musik zu sehen ist. Hintergrund ist der Text Exodus 15.20 f.: Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in die Hand, und alle Weiber folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan. Mirjams Lied wird auf dieser Viola-Klavier-CD des Duos Semjon und Bella Kalinowsky zum Motto einer Werksammlung von sechs jüdischen Komponistinnen des 19. und 20. Jahrhunderts.
Helene Liebmann, 1796 in Berlin geboren, pflegt in ihrer Sonate op. 11 von 1815 einen anmutigen, an der Klassik geschulten Stil. Leider hält der Finalsatz, ein recht biederer Variationenzyklus über Mozarts Reich mir die Hand, mein Leben, nicht ganz, was die ersten beiden Sätze versprechen. Ansprechender ist Fanny Hensels kurzes C-Dur-Adagio von 1823, ursprünglich für Violine und Klavier geschrieben, ein Stück in schlichtem, Schubert-nahem Tonfall.
An jüdischer Folklore orientieren sich Thematik und Harmonik der im 20. Jahrhundert entstandenen Stücke von Vally Weigl (1894-1982), Minna Keal (1909-1999) und Sarah Feigin (geb. 1928). Die aus Wien stammende Musiktherapeutin Weigl, Ehefrau des Komponisten Karl Weigl, schrieb 1937 eine leicht akademische Old Time Burlesque für Violoncello bzw. Posaune und Klavier, die hier in einer Bratschen-Klavier-Fassung der Interpreten erklingt. Keal, in London geboren, hatte russische Vorfahren. In ihrer zehnminütigen f-Moll-Ballade von 1927 vielleicht das überzeugendste Werk der CD wird das russisch-jüdische Erbe in hochexpressiver Melodik, harmonischem Einfallsreichtum und vollklingendem Klaviersatz lebendig. Die aus Lettland stammende, seit den 1970er Jahren in Israel lebende und lehrende Sarah Feigin lehnt sich mit ihrer Reflection on a Niggun an das Genre der jüdisch-religiösen Instrumentalkomposition an, in dem vor allem Ernest Bloch mit Werken wie Shelomo oder Méditation hébraïque Maßstäbe gesetzt hat. Das Raffinement dieses Vorbilds erreicht sie mit ihrer letztlich konventionelleren Komposition von 1999 (!) allerdings nicht. Nocturne, Serenata, Abendstimmung und Wiegenlied der Leipzigerin Lena Stein-Schneider (1874-1959) befleißigen sich gänzlich ungebrochen einer salonnahen Tonsprache aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in solcher Dur-Naivität ohne jegliches jüdisches Timbre ein enttäuschend flacher Abschluss.
Die Interpretationen des Ehepaars Kalinowsky werden den Anforderungen der Werke im Wesentlichen gerecht. Allerdings wünschte man sich von der Pianistin mehr rhythmische Stabilität vor allem bei der Liebmann-Sonate, und vom stets sauber spielenden Bratscher mehr tonliche Risikobereitschaft bei Keal und Feigin. Programmatisch hätte mehr Mut zu neueren Stilrichtungen dem Grundanliegen der 56 Minuten kurzen CD sicher nicht geschadet: Die Viola-Sonaten der Amerikanerinnen Marion Bauer oder Miriam Gideon beispielsweise wären eine Entdeckung wert vielleicht beim nächsten Mal.
Rainer Klaas