Bruckner, Anton

Messe Nr. 2 e-Moll/Motteten

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler SACD 93.199
erschienen in: das Orchester 12/2008 , Seite 66

Bei aller Repertoirevielseitigkeit, die das renommierte SWR Vokalensemble Stuttgart pflegt, so assoziiert man Bruckners e-Moll-Messe (Fassung von 1982) oder eine Auswahl seiner Motetten eher weniger mit den Sängern aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt. So hat das von Marcus Creed geleitete Vokalensemble beispielsweise seine Saison 2008/09 unter das Motto „Dem Geheimnis der Zahl in der Musik“ gestellt. Dabei wird der Schwerpunkt wieder auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts liegen, dem „Spezialgebiet des Ensembles“.
Die klangliche Vielseitigkeit, die besonders die Musik der Gegenwart fordert, mag aber gerade die Grundlage für eine so überzeugende Bruckner-Einspielung sein, wie sie das SWR Vokalensemble Stuttgart unter Leitung von Marcus Creed nun vorgelegt hat. Bei aller Qualität der Einzelstimmen dominiert der Eindruck der Homogenität, wird der Text klar gestaltet, basiert die Bruckner-Interpretation auf einer vielfältigen Klanglichkeit und perfekten dynamischen Kontrolle vom auch im Pianissimobereich geschmeidig und leuchtkräftig bleibenden Ton hin zum satten Fortissimoklang, der aber stets transparent bleibt. Zudem ist die unanfechtbare Intonationssicherheit des Chors ein weiterer Pluspunkt. Diese Qualitäten werden im direkten Vergleich mit der jüngst erschienenen Einspielung der e-Moll-Messe des KammerChor Saarbrücken unterstrichen, die Bruckners Messe mit Rheinbergers Requiem koppelt (Carus CD 83414). Dabei ist das von Georg Grün geleitete Vokalensemble von durchaus ansprechender Qualität, ebenso die Bläser der Kammerphilharmonie Mannheim.
Die Aufnahme aus Stuttgart bietet bei durchgängig etwas breiter genommenen Tempi ein Mehr an dynamischer Differenzierung und raffinierter Klangfarbendifferenzierung, aber auch eine breitere dynamische Ausgestaltung, besonders im Piano- und Pianissimobereich. Auch dank der insgesamt überzeugenderen Bläser des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR – die Besetzung nur für Chor und Bläser ist dem Zweck der Freiluftaufführung der e-Moll-Messe 1869 zur Einweihung der Votivkapelle des Neuen Linzer Domes geschuldet –, gelingt Creed eine auch aufnahmetechnisch bestens eingefangene Ausformung des komplexen Werks. Denn Bruckners Verbindung von Altem und Neuem, Kontrapunktik der Palestrinazeit und Messkonzeptionen von Bach, verbunden mit einer an Wagner geschulten Harmonik und Klangeffekten, die nicht weit von Liszt und Berlioz entfernt sind, wird hier überzeugend realisiert. Bruckners Verbindung von Heterogenem zu Eigenem wird auf dieser Aufnahme mit gestalterischer Spannkraft und subtiler Klanglichkeit verwirklicht.
Unterstrichen werden die gestalterischen Qualitäten des SWR-Vokalensembles auch in den Motetten, von frühen Werken aus dem Jahr 1861 (Aventur und Ave Maria) bis zu den späten Motetten wie “Os justi” oder “Christus factus”, die den Höhepunkt der Verschmelzung eigentlich heterogener Stilmittel zu einem überwältigend Neuen darstellen. Eine Aufnahme, die Maßstäbe setzt, an denen sich alle folgenden Einspielungen messen lassen müssen.
Walter Schneckenburger