Bach, Johann Sebastian
Messe in h-Moll
Bis heute ist umstritten, welchen Zweck Bach verfolgte, als er in den 1740er Jahren seine aus Kyrie und Gloria bestehende Missa von 1733 zu einer vollständigen Messe erweiterte. Da eine Gesamtaufführung im Leipziger Gottesdienst auszuschließen ist, sind mögliche Aufträge aus Dresden oder Wien in Betracht gezogen worden, ohne dass sich Belege hierfür hätten finden lassen. Die auskomponierte Credo-Intonation spricht gegen eine Bestimmung für die katholische Liturgie, überdies zitiert Bach die mittelalterlichen Cantus firmi in Credo und Confiteor in Varianten, die in den lutherischen Kirchen Leipzigs gebräuchlich waren. So erscheint die Verwendung einzelner Teile an Stelle einer Kantate möglich, vielleicht sogar zyklisch an aufeinander folgenden Feiertagen ähnlich dem Weihnachtsoratorium.
Die außerordentlich hohen Anforderungen an den Chor ließen selbst Mendelssohn von einer Aufführung absehen, sodass die gesamte Messe erst 1856 in Frankfurt am Main und 1859 in Leipzig erklang. Es sollte weitere 100 Jahre dauern, bis sie zum Standardwerk des Chorrepertoires wurde. Inzwischen haben Einspielungen mit professionellen, stilistisch geschulten Sängerensembles Maßstäbe gesetzt, die uns leicht vergessen lassen, welche Herausforderung das Werk, zumal unter Konzertbedingungen, selbst für den Thomanerchor bedeuten muss, der hier begleitet von dem vorzüglichen Freiburger Barockorchester sein technisches und musikalisches Können eindrucksvoll unter Beweis stellt. Erst im Confiteor, einem fünfstimmigen, nur vom Continuo begleiteten Chorsatz von extremer kontrapunktischer und modulatorischer Dichte, zeigen sich gewisse Ermüdungserscheinungen in der Intonation und Artikulation, die im folgenden Et expecto allmählich überwunden werden.
Die Partien der fünf Gesangssolisten sind adäquat besetzt. Die sehr unterschiedlichen Stimmcharaktere der beiden Sopranistinnen Reglint Bühler und Susanne Krumbiegel fallen in ihrem gemeinsamen Duett Christe eleison ins Gewicht. Die Verbindung mit der geradlinig, mit sparsamem Vibrato agierenden Altistin Susanne Langner in ihrem Duett Et in unum Dominum ist homogener. Das zügige Tempo der Laudamus-Arie (Sopran 2) engt den Gestaltungsspielraum der Sängerin wie auch der Solovioline ein. Der Tenor Martin Lattke geht die Benedictus-Arie mit metrischer Strenge an, kontrastiert von einer agogisch sehr frei gestaltenden Soloflöte ein Wagnis, das hier musikalisch spannend aufgeht. Markus Flaig verfügt über eine helle Bassstimme, die auch in tiefen Lagen genügend Kraft besitzt. Seine Quoniam-Arie ragt heraus nicht zuletzt durch das konturierte und transparente Spiel der begleitenden tiefen Blasinstrumente. Im Qui tollis bringt die Aufnahmetechnik die Klangbalance vorübergehend aus dem Gleichgewicht, zunächst bei den hohen Streichern, später ist die zweite Flöte kaum hörbar. Insgesamt dokumentiert der Mitschnitt vom Leipziger Bachfest im Juni 2013 eine gelungene Aufführung.
Jürgen Hinz