Hindemith, Paul

Messe/Apparebit repentina dies/Lieder nach alten Texten op. 33/Six Chansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.295
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 79

Hindemith brachte der menschlichen Stimme und insbesondere dem Chorgesang stets höchste Wertschätzung entgegen. Bereits in den 1920er Jahren befasste er sich in einem Aufsatz mit der Frage, wie „der ideale Chorsatz der Gegenwart oder besser der nächsten Zukunft beschaffen sein“ solle, und stellte in diesem Zusammenhang die Forderung nach Kompositionen „sozusagen nach Maߓ auf, die auf Bedürfnisse und technische Möglichkeiten der aufführenden Zielgruppe jeweils Rücksicht zu nehmen hätten. In späteren Jahren äußerte er die Überzeugung, dass es „keine edlere und menschlichere Art des Musizierens gibt als den gemeinsamen A-cappella-Gesang“. In der Vielfältigkeit und dem Facettenreichtum seiner schöpferischen Auseinandersetzung mit dem Chorgesang, die sich über vier Jahrzehnte erstreckte, findet sowohl seine Forderung nach „maßgeschneiderten“ Werken ihren Widerhall wie auch jene Flexibilität und Wandlungsfähigkeit, die Hindemith an der menschlichen Stimme so schätzte.
Mit dem selten zu hörenden Stück Apparebit repentina dies für Chor und zehn Bläser wird diese – um es vorwegzunehmen – durchweg mustergültig gelungene CD-Produktion des SWR Vokalensembles Stuttgart eröffnet. Das 1947 entstandene viersätzige Werk basiert auf einer anonymen mittelalterlichen Dichtung, die Elemente der Apokalypse aufgreift und inhaltliche Ähnlichkeiten mit der später enstandenen Sequenz „Dies irae“ besitzt. Der strahlend ausgeleuchtete Blechbläserklang von Mitgliedern des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR präsentiert sich hier in Bestform: kraftvoll etwa in der Fanfare, mit der der erste Satz eröffnet wird, hartnäckig in den präzisen Einwürfen in das Chor-Rezitativ des zweiten Satzes. In den polyfonen Passagen sind Bläser und Chor dynamisch vorzüglich aufeinander abgestimmt.
Die folgenden Werke für Chor a cappella bieten dem SWR Vokalensemble Stuttgart genügend Raum zur Präsentation seiner überragenden gesanglichen Qualitäten und gestalterischen Fähigkeiten. Die satztechnisch schlichten Six Chansons nach französischen Gedichten von Rainer Maria Rilke – komponiert 1939 für einen Laienchor in der Schweiz – erheben die Sänger durch ihre harmonische Präzision und die filigrane Dynamik zu kostbaren kleinen Preziosen. Subtil und liebevoll sind auch die unterschiedlichen Charaktere der Lieder nach alten Texten op. 33 herausgearbeitet.
Zu den anspruchsvollsten Werken in Hindemiths Schaffen überhaupt zählt die Messe für gemischten Chor a cappella, die er noch wenige Wochen vor seinem Tod im Dezember 1963 vollendete und mit dem Wiener Kammerchor uraufführen konnte. In den komplexen kontrapunktischen Partien überzeugt das SWR Vokalensemble Stuttgart mit sorgfältig herausgearbeiteter und durchsichtiger Polyfonie ebenso wie mit seiner stimmlichen Strahlkraft in den homofonen Passagen.
Susanne Schaal-Gotthardt