Verdi, Giuseppe

Messa da Requiem

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Glor 162202/162207 (CD und DVD)
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 83

Das Requiem von Giuseppe Verdi ist bekannt für seine unmittelbar ansprechende Dramatik, der Verdi in der Vertonung des alten Messtextes maßgeblich auf der Spur war. Spätestens seit Berlioz in seinem Requiem von 1837 die Posauen des Jüngsten Gerichts nicht nur benannte, sondern mit aller ihm zur Verfügung stehenden Klanggewalt inszenierte, wurde der eigentliche liturgische Bestimmungsrahmen meist zugunsten großdimensionierter Heldenverehrung endgültig gesprengt. Auch Verdi schrieb in allererster Linie kein Werk für, sondern über die Kirche. Den Anlass für die Entstehung bot der Tod Rossinis (1868) bzw. der des Dichters Alessandro Manzoni (1873). Seitdem zählt es mit Recht zum einschlägigen Repertoire festlicher Eröffnungs-, Abschluss- oder Gedenkkonzerte.
Setzt nun ein kundiger und erfahrener Verdi-Interpret wie Plácido Domingo den Taktstock an, um den gewaltigen Klangapparat durch die Totenmesse zu führen, darf man zu Recht Aufregendes erwarten. Zur Seite stehen ihm das Youth Orchestra of the Americas – ein grenzüberschreitendes amerikanisches Jugendorchester ähnlich Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra –, die EuropaChorAkademie sowie ein junges aber profiliertes Solistenensemble.
Die geballte Internationalität ist in der Tat ungewöhnlich und schlägt sich wohltuend facettenreich auf den Gesamteindruck nieder. Im Grunde aber muss es Domingo angelastet werden, dass diese Aufführung trotzdem nicht die im (inhaltsarmen) Booklet erklärte „Sternstunde der Klassischen Musik“ wurde. Domingos Diktion wirkt zu neutral und geradlinig, setzt kaum eigene Akzente und verleiht der Darbietung trotz beeindruckender Momente letztlich kein eigenes Profil. Maßgebend scheint hier die Partitur zu sein, nicht das eigene dramatische Empfinden.
Dabei bietet ihm der Klangkörper reichlich Potenzial an. Gerade die beiden ambitioniert agierenden großen Ensembles gestalten ihre Partien souverän und beherrscht: kraftvoll und homogen, zugleich klangschön und sensibel für die Rollenverteilung im musikalischen Satz gestaltet die ECA ihre Chöre, während die jungen Instrumentalisten sehr diszipliniert auftreten und damit diffizile Passagen wie das „Dies Irae“ oder die beiden Fugen („Sanctus“, „Libera me, Domine“) prägnant und aufregend konturieren. Das Solistenensemble, bekanntlich Träger der inhaltlichen Hauptlast des Werks, tritt an seine Rollen unterschiedlich heran. Herausragendes leisten Ildar Abdrazákov (Bass) und Fredrika Brillembourg (Mezzo), indem sie dramatisch-musikalisches Feingefühl mit beeindruckender Technik stilsicher verbinden. Weniger überzeugen dagegen das gewöhnungsbedürftige und viel zu vordergründig präsentierte Timbre von Cristina Gallardo-Domâs (Sopran) und der verunsichert wirkende Tenor Marco Berti.
Ungeachtet einiger Schwächen wurde der Livemitschnitt vom Münchner Gasteig im August letzten Jahres zugleich auf CD und DVD gebannt, wobei die DVD sicherlich die bessere Wahl darstellt. Abgesehen vom deutlich besseren Klang bietet sie einige (wenige) Zusatzinformationen über Projekt und Beteiligte sowie einen musikalisch organisch inszenierten guten Kameramitschnitt des Konzerts.
Tobias Gebauer