Verdi, Giuseppe

Messa da Requiem

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI 50999 69893629
erschienen in: das Orchester 05/2010 , Seite 72

Noch ein Verdi-Requiem? Gibt es nicht genügend Einspielungen, von Harnoncourt bis Karajan, von Celibidache bis Abbado – und was sollte nach Giulini eigentlich noch zu diesem Werk gesagt werden? Vergessen Sie alle Einwände und lassen Sie sich von dieser beeindruckenden EMI-Produktion überraschen. Antonio Pappano, Musikdirektor des Royal Opera House in London und Chef der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom hat mit den Musikern der Accademia die Vertonung der Totenmesse neu eingespielt.
Faszinierend an dieser Neuproduktion ist des Dirigenten überraschend unpathetische, nicht opernmäßig überladene Interpretation des Verdi’schen Gelegenheitswerks. Chor und Orchester musizieren geradezu schlank und befreit von jeglicher Kraft-Attitüde. Plastisch und prägnant, rhythmisch messerscharf beispielsweise das Dies irae, dessen Wucht und Aplomp durch die penible Befolgung von dynamischen Anweisungen, Tempo- und Agogikvorgaben die Dramatik des Satzes umso kontrastreicher zur Geltung kommen lässt. Die Tontechniker haben das Ihre dazu beigetragen, sodass der Klang strukturiert und durchhörbar bleibt, auch Details der Instrumentation nicht untergehen.
Chor und Orchester setzen Pappanos Interpretationsansatz schnörkellos um: kraftvoll das Tutti, mit kompakten Streichern, exzellenten Holzbläsersoli und markanten Blechbläser-Passagen. Und der Chor der Accademia bewährt sich in diesem Livemitschnitt als Ensemble von frischen Stimmen, das der Prägnanz der wuchtigen Sätze ebenso gerecht wird wie den lyrischen Passagen. Das lässt einen beim geflüsterten Quantus tremor erschaudern oder bei der virtuos-locker, fast tänzerisch vorüberwirbelnden Sanctus-Fuge schon erstaunen.
Auch das Solistenquartett vermag den entschlackten Interpretationsansatz mitzuvollziehen: mit müheloser und leuchtender Höhe die Sopranistin Anja Harteros, von der Musikkritik für ihre Münchner Elsa-Darstellung als Sängerin des Jahres 2009 ausgezeichnet. Der Mezzo von Sonia Ganassi beeindruckt durch Expressivität und Schlichtheit gleichermaßen – ergreifend ihr Duett mit Anja Harteros, etwa im Recordare. Souverän und stimmlich auf der Höhe Startenor Rolando Villazón und an seiner Seite René Pape, der keinen dröhnenden Opernbass bietet, sondern eher baritonale Leichtigkeit, ohne auf Volumen und Intensität zu verzichten. Zusammen bilden die Solisten ein unprätentiöses Quartett, das die Musik uneigennützig in den Vordergrund stellt und auf interpretatorische Unarten verzichtet – das Pie Jesu sticht ob seiner faszinierenden Geschlossenheit besonders heraus.
Alles in allem also keineswegs eine überflüssige Veröffentlichung, sondern eine der wichtigsten Interpretationen des Werks seit Langem.
Wolfgang Birtel