Mendelssohns Welt

Die Violinsonaten

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao classics B 108081
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 81

Wie schwankend die Urteile über Mendelssohns Musik in der Vergangenheit gewesen sind und wie sich der Komponist in der öffentlichen Wahrnehmung vom begabten Wunderkind zur Zielscheibe von Ressentiments gewandelt hat, lässt sich nur verstehen, wenn man divergierende Aspekte seines Schaffens in den Blick nimmt. Die Violinsonaten eignen sich insofern zur Illustration dieser Problematik, als sich ihre Entstehungszeit über fast zwei Jahrzehnte erstreckt und von der zu Lebzeiten unveröffentlichten Jugendsonate F-Dur (1820) über die anspruchsvoll konzipierte f-Moll-Sonate op. 4 (1825) bis hin zur gleichfalls unpubliziert gebliebenen Sonate F-Dur von 1838 reicht, also sowohl die Orientierungs- wie auch die Konsilidierungs- und Reifephase Mendelssohns samt ihren jeweils unterschiedlichen Stilistiken umfasst (wobei das Sonatenfragment d-Moll aus den 1820er Jahren hier unberücksichtigt bleibt).
Dass sich diese Werke im Konzertsaal nicht hinter anderen Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert verstecken müssen, beweisen Andreas Reiner und Desar Sulejmani mit ihrer abwechslungsreichen Einspielung: Auffällig ist der Zugriff auf die Rahmensätze der beiden F-Dur-Sonaten, deren Musik sich unter vielfältiger Einbeziehung energiereicher, artikulatorisch wohl kontrollierter Impulse ausbreitet, im Kopfsatz des späteren Werks noch zusätzlich unterstützt durch Herausarbeitung eines strahlenden, emphatischen Tonfalls. Allein der Umstand, dass Reiner im Kopfsatz der Jugendsonate manche Figuration eine Spur zu wuchtig und bedeutungsvoll gestaltet, nimmt dem Werk etwas von seiner Leichtigkeit. Kompensiert wird dies allerdings durch die bedächtige Umsetzung des „Andante“-Variationssatzes, in dem der Geiger immer dort klanglich Zurückhaltung übt, wo das Klavier in den Vordergrund rückt.
Den Höhepunkt des gemeinsamen Musizierens bildet freilich die f-Moll-Sonate: Wohlgeformt und in den Einzelheiten differenziert ausgearbeitet erklingt das eröffnende Instrumentalrezitativ, aus dem sich in der Folge der Dialog der Musiker entwickelt. Unter Einbeziehung feinen agogischen Agierens bleibt der Kopfsatz vorwiegend einem gedämpften Tonfall verhaftet und nähert sich immer wieder der sprachnahen Diktion des Beginns, was dem klanglichen Aufblühen der Instrumentalisten beim zweiten Thema umso größeren Nachdruck verleiht. Das gestalterische Können des Duos offenbart sich aber auch, wenn die kantable Melodie des Mittelsatzes als strömender Gesang entfaltet wird, um dann kurz darauf durch subtile Stimmungswechsel Eintrübungen und Dramatisierungen zu erfahren. Ein wenig verwundert zwar der Umstand, dass die Interpreten ausschließlich ältere Ausgaben der Werke – insbesondere Menuhins Einrichtung der großen F-Dur-Sonate – benutzten, wo doch die kritisch edierten Urtexte längst erhältlich sind; doch ändert dies nichts daran, dass es sich hier um eine sehr lebendige und ideenreiche Einspielung handelt, die niemals Gefahr läuft, langweilig zu werden.
Stefan Drees