Martinu, Bohuslav

Memorial for Lidice / Concertino / Rhapsody / Konzert

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 71053
erschienen in: das Orchester 02/2006 , Seite 85

Der Komponist wurde 1890 in Policka geboren, verlebte dort seine Kindheit, verschrieb sich nach Studien bei Josef Suk in Prag dann als Schüler von Albert Roussel der faszinierenden Welt des Pariser Neoklassizismus und blieb seit 1923 dort in ziemlicher Armut und ohne Verleger wohnen, in der Stadt Strawinskys und Milhauds, fern der tschechischen Heimat, doch ihr innerlich verbunden. Eben hier bahnte er jene Spuren, die der tschechischen neuen Musik ihren Weg in die kommenden Jahrzehnte wesentlich ebnen sollten. 1940, als die Deutschen einrückten, musste Martinu wie so viele diesen Zufluchtsort verlassen: Obschon nicht Jude, so doch als Sympathisant der tschechoslowakischen Exilregierung auf der schwarzen Liste des nationalsozialistisch regierten „Reichs“, das sich Böhmen wieder einverleiben wollte und jene verfolgte, die dem hinderlich waren. Nach Irrfahrten durchs unbesetzte Südfrankreich ermöglichte Sergej Kussevitzkys Einladung Martinu Asyl in den USA.
Das Ende des „Protektorats Böhmen und Mähren“ hätte Rückkehr in die Heimat bedeuten können; eine Professur in Prag war angeboten, dazwischen kam aber das Jahr 1948 mit dem sowjetischen ZK-Beschluss, der eben auf dem anknüpfenden „Prager Kongress der Komponisten und Musikwissenschaftler“ das Rad der Musikgeschichte seit Debussy und Richard Strauss zurückdrehen wollte und mit Verurteilungen von Strawinsky, Messiaen, Hindemith, Krenek, Egk, Orff, Milhaud und Honegger, Schönberg und Schüler sowieso, kaum einen wichtigen der Lebenden ausließ. Also doch zurück in die USA, in die idyllische Professorenstadt Princeton; danach zwar nach Europa, aber die stalinistisch beherrschte tschechische Heimat blieb dem Neutöner verschlossen – er starb 1959 im Schweizer Liestal.
Dass die geheimnisvollen 1930er und 1940er Jahre ein Feld der Entdeckungen sind, wird in dieser Produktion schon daraus deutlich, dass es von Martinu zwei Concerti bzw. Concertini für Klaviertrio und Streicher gibt, die 1933 in enger zeitlicher Nachbarschaft entstanden sind und daher für ein und dasselbe Werk gehalten wurden. Das frühere wurde erst dreißig Jahre später von Harry Halbreich entdeckt und 1963 von Rudolf Baumgartner uraufgeführt. Zu entdecken sind auch die Spuren von Martinus „Neoklassizismus“ überhaupt: theatralisch auf „Modelle“ orientiert, mögen es Reminiszenzen an böhmische Romantik sein, an polyfonen Barock oder auch Zerreiß-Spannungen zwischen Tonartflächen.
Und schließlich das erschütternde „Denkmal für die Bewohner von Lidice“, jenem Dorf, das aus Vergeltung für das Attentat am Reichsprotektor Heydrich ausgelöscht wurde: die Männer ermordet, die Frauen und Kinder verschleppt. Arthur Rodzinski hat diese Trauermusik 1943 in der Carnegie Hall uraufgeführt. Aus der amerikanischen Spätzeit bietet das Rhapsody Concerto von 1952 viel böhmische Nostalgie.
Detlef Gojowy