Melodies for Percussion

Werke von Ney Rosauro, Eugene Levitas, Antonio Vivaldi und Johann Wilhelm Hertel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Animato ACD 6082
erschienen in: das Orchester 10/2005 , Seite 85

Man mag es bedauern oder auch nicht, bei den Solisten der Schlaginstrumentenfamilie ist zunehmend eine Spezialisierung zu beobachten: Keiko Abe (Marimba), Jonathan Haas (Pauken), Xavier Joaquin (Perkussion) und David Friedman (Vibrafon) sind wohl die Bekanntesten. Aber es gibt auch, besonders bei den jüngeren Solisten und Solistinnen, die so genannten „Allrounder“ wie Peter Sadlo und Evelyn Glennie und, wie auf der vorliegenden CD zu hören, Babette Haag. Sie haben einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, da ihre Anschlagsvariationen von den Spieltechniken der verschiedenen Fell-, Holz- und Metallinstrumente profitieren, die jede für sich einen eigenen sensiblen „Touch“ voraussetzen. So können diese „Allrounder“ die von den Komponisten erwarteten Klangbilder realisieren, die wesentlich ihre Interpretationen bereichern und so „stromlinienförmige“ und oft verwehende Bögen und Linien ermöglichen, wie sie für die hier staccato-haften und dort legato-verklingenden Schlaginstrumente charakteristisch sind.
Babette Haag, geboren in München, hat 1988 bis 1994 an der Hochschule für Musik Freiburg studiert. Preisgekrönt beim Wettbewerb des Deutschen Musikrats und lange Jahre Solopaukerin bei der Philharmonie der Nationen gastiert sie heute als Solistin auf den internationalen Bühnen in den USA, Brasilien und Europa. Ihre Interpretationen zeichnen sich durch eine geradezu tänzerische Leichtigkeit aus. Babette Haag musiziert flüssig, luftig und transparent, ohne Probleme bei komplizierten rhythmisch-metrischen Strukturen und mit einem fast magischen Klangsinn für die unterschiedlichsten Anschlagsvarianten, die das besondere Instrumentarium erfordert – „Schamanin aus dem Reich der Töne“, schrieb ein Kritiker nicht zu Unrecht. Sie musiziert mit der erforderlichen rhythmischen Präzision und der klanglichen Prägnanz, verbindet ihre Interpretationen aber jederzeit mit der nötigen Zurückhaltung in Fragen der Dynamik, lässt aber auch, wo notwendig, hier und da lebendige, ungehemmte, gewissermaßen zügellose Momente aufblitzen. So verschiebt sie ständig die Perspektive, mal virtuos, mal naiv verspielt. Der Hörer muss sich in ihren Konzerten und Einspielungen auf zügige Tempi einstellen. Es klingt oft, als wolle die Solis-tin besonders bei den Kompositionen von Hertel und Vivaldi den Staub von den Partituren spielen.
Aus Repertoiregesichtspunkten ist die Zusammenstellung der CD besonders interessant, da die Solistin recht unterschiedliche Kompositionen ausgesucht hat, die auch einen großen Unterhaltungswert haben. Johann Wilhelm Hertel (1727-1787) hat in seinem Konzert für 8 Pauken, Bläser und Streicher die Pauken nicht auf harmonische Grundtöne beschränkt, sondern sie in die thematischen Durchführungen seiner Komposition eingebunden. Das Konzert für Piccoloblockflöte, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi (1678-1741) hat die Solistin selbst für Vibrafon bearbeitet, eine Spielpraxis, die in der vorbarocken Zeit nicht unüblich war, da die Komponisten ihre Werke oft den instrumentalen Gegebenheiten ihres Wirkungskreises angepasst haben.
Der israelische Komponist Eugene Levitas (geb. 1972) schrieb sein Konzert für Perkussion und Orchester 1999. Er bedient sich einer eigenen, hie und da auch an Filmmusik erinnernden Sprache, die er mit Gespür für die Klangspektren der Perkussion in dem dreisätzigen Werk einbringt und die in ihrem Wechselspiel bei der Solistin ein hohes Maß an klanglicher Differenzierung und stupender Technik voraussetzt.
Ney Gabriel Rosauro (geb. 1952) schöpft in seinem 1986 komponierten Konzert für Marimba und Streichorchester aus dem reichen Schatz seiner brasilianischen Heimat und verarbeitet mit einem untrüglichen Gefühl für Spannung und Entspannung Elemente aus der Minimal Music, dem Jazz und der tänzerischen brasilianischen Volksmusik – ein Werk, das in seiner Virtuosität, seinem Drive, seinen Klangfarben mit Recht zu den bekanntesten Werken dieses Genres zu zählen ist.
Fazit: Die CD ist abwechslungsreich, spannend und von einer ansteckenden Spiellaune. Zu loben ist natürlich auch das einfühlsam musizierende Württembergische Kammerorchester Heilbronn. Und die Solistin hat in dem Dirigenten Ruben Gazarian einen exzellenten Partner zur Seite. Man darf auf eine neue CD gespannt sein.
Siegfried Fink