Meister der Goethe-Zeit

Werke von Carl Eberwein, Ernst Wilhelm Wolf, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, Johann Friedrich Reichardt und Franz Seraph von Destouches

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 71 128
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 62

Es ist eine originelle Idee, eine CD mit Kompositionen von Musikern am Weimarer Hof aus der Zeit Goethes vorzulegen. Zwar beschränkt sich die Einspielung auf Instrumentalwerke und kann daher nur andeutend hinweisen auf die musikalischen Kenntnisse, Vorstellungen, Anregungen und Präferenzen des großen deutschen Dichters. Aber sie vermittelt dennoch einen hörenswerten Eindruck vom musikalischen Stil und Klima dieser Zeit.
Durch die Epochengliederung der Musikgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert und ihre Fokussierung auf so genannte Meisterwerke, durch die Angebotsfülle entsprechender Tonträger und durch die standardisierte Auswahl vieler heutiger Rundfunk-, Fernseh- und Konzertprogramme ist die Höreinstellung der Musikkonsumenten so stark auf die Werke Haydns, Mozarts und Beethovens ausgerichtet, dass man die herrschende idiomatische Klangsprache leicht übersieht, die fast alle zeitgenössischen Kompositionen um 1800 bestimmte, eine Klangsprache, die durch die Komponisten der Wiener Klassik verfeinert und ausgereift wurde, deren Elemente sie aber als verfügbares Material in ihrem Umfeld bereits vorfanden.
Insofern bieten die Werkbeispiele von Ernst Wilhelm Wolf (1735-1792), Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807), Johann Friedrich Reichardt (1752-1814), Franz Seraph von Destouches (1772-1844) und Carl Eberwein (1786-1868) mannigfache Anregungen zu fruchtbaren Vergleichen mit bekannten Formstrukturen und Stilelementen vor allem Joseph Haydns, dessen Vorbildfunktion in den meisten der vorliegenden Kompositionen hörbar wird. Das gilt über weite Strecken für die um 1800 entstandene Sinfonie von Destouches und die zwei Sinfonien von Wolf (um 1790 komponiert), in kaum geringerem Maße auch für Reichardts Ouvertüre zu seinem abendfüllenden Singspiel Erwin und Elmire, eine ausgedehnte mehrteilige Komposition aus dem Jahr 1791, die stark sinfonische Züge trägt, im Ansatz aber durchaus Bezüge zu ihrem Sujet erkennen lässt. Anna Amalias Singspiel-Ouvertüre zu der gleichen Goethe-Vorlage als das früheste Stück der Aufnahme (1776) orientiert sich eher an vorklassischen Anregungen. Ihr dazu gehöriger Entre Acte ist jedoch ein erstaunlich sicher und wirkungsvoll konzipiertes Stück in der Art eines Kopfsatzes aus einem Violinkonzert, einschließlich einer Kadenz. Aus einer deutlich späteren Zeit (1829 oder etwas früher) stammt Eberweins Introduzione zum Faust, ein kurzes, spannungsgeladenes Einleitungsstück, das die Bekanntschaft mit Beethovens Sinfonien voraussetzt.
Die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Peter Gülke interpretiert alle Werkbeispiele präzise, differenziert und ausdrucksstark, sodass der jeweils individuelle Charakter der Musik präsent wird. Der Beihefttext von Cornelia Brockmann, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena, steuert hilfreiche Informationen und Hörhilfen bei.
Peter Schnaus