Toman, Philipp

“Mein Orchester habe ich schon nervös gemacht”

Die Briefe des Dirigenten Felix Mottl an die Gräfin Christiane Thun-Salm. Darstellung und Edition

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2015
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 58

Mottl oder Mahler? Für die Gräfin Christiane Thun-Salm (1859-1935), einflussreiche Hof-
dame, Musikkennerin und ambitionierte Schriftstellerin im K.u.k.-Kosmos Wiens um 1900, gab es in dieser Frage kein Vertun. Das Amt des Wiener Hofoperndirektors, das Gutav Mahler zehn Jahre lang innehatte, gebührte ihrer Meinung nach nur einem, ihrem Schützling Felix Mottl. In einem Brief der Gräfin, der in der Wiener Gesellschaft öffentlich wurde, tritt ihre Parteilichkeit ungewollt zutage: „Es ist mir gelungen, Director Mahler zu stürzen“, soll sie geschrieben haben.
„Es hat wohl jeder das Recht auf privatem Wege seine Meinung auszusprechen“, schreibt die Gräfin noch trotzig am 15. Januar 1903 an Olga, „Wittwe des Hofrathes Knoll“, die wiederum vorgeschickt worden war, um ein versöhnliches Gespräch zwischen der Gräfin und Guido Adler, Universitätsprofessor für Musikgeschichte und treuer Freund Mahlers, in die Wege zu leiten. Adler gegenüber streitet ihre Exzellenz ab, den kompromittierenden Satz geschrieben zu haben. In einem Brief an Mottl aber, in dem sie detailliert über die Intrige Auskunft erteilt, kommen zwischen den Zeilen sinnentleerte Etikette, giftige Nadelspitzen sowie alle Nuancen an Verlogen­heit zum Vorschein. Auch ein in der Wiener Salon-Rhetorik nicht unbekannter Antisemitismus tritt hervor. Über Mahler äußert sie sich gegenüber Adler: „Ich finde es nur ein großes Unglück für Wien, dass nicht Mottl an seiner Stelle ist, denn er ist ein noch größerer Künstler.“ Die Wiedergabe des Gesprächs gipfelt in Thun-Salms Feststellung: „Als wir uns (zum Abschied) die Hand reichten, hassten wir uns aufrichtig und gründlich, der Jud, die Christin, der Demokrat, die Gräfin, der Deutsch­tümler, die Österreicherin, der Pedant, die Begeisterte.“ Die Musikgeschichte wird später festschreiben, dass Mahler durchaus kein Unglück für Wien war, und Mottl – in den Augen seiner Gönnerin ein Genie – weitaus weniger bedeutende Spuren hinterlassen hat.
„Die Briefe des Dirigenten Felix Mottl an die Gräfin Christiane Thun-­Salm“, herausgegeben von Musikwissenschaftler Philipp Toman, dokumentieren diese wenig bekannte Notiz der Musik- und Sozialgeschichte. Wer aber nach der spannenden Kostprobe an Briefkunst der Gräfin davon ausgeht, dass das Buch ein Leseleckerbissen ist, wird enttäuscht. Das liegt vor allem daran, dass die Veröffentlichung nur wenige Briefe der wortgewandten Gräfin enthält. In kluger Voraussicht und um ihr Ansehen nicht zu beschädigen, hatte sie Mottl gebeten, ihre Briefe zu vernichten. Und so besteht die überarbeitete Dissertation, die in der Reihe Studien zur Musikwissenschaft erschienen ist, vor allem aus den geschraubten, mit Floskeln überladenen Briefen Mottls. Ein üppiges Zeitdokument, akribisch ergänzt mit Werkverzeichnissen, Programmheften und mehr, ist das Buch doch nur mühsam zu lesen. Die Leistung Tomans ist die penible Aufarbeitung der Dokumente. Sie bildet – nicht nur für Mahler-Fans – ein wertvolles Steinchen im großen Mosaik am Gebäude der Kunstschaffenden Wiens um 1900.
Christina Hein