Frauchiger, Urs
Mein Mozart
Der Titel könnte zu der Annahme verleiten, hier handle es sich um eine gefühlvoll verfasste Liebeserklärung an den Salzburger Meister, um die privaten Herzensergießungen eines Mozart-Verehrers. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schweizer Cellist, Hochschuldirektor und Musikschriftsteller Urs Frauchiger will mit dieser Sammlung von Mozart-Essays zwar ganz sicher nicht die Mozart-Forschung revolutionieren und mit sagenhaften neuen Erkenntnissen aufwarten, wohl aber in scharfsinnig-kritischer Weise das (Un-)Wesen der Mozart-Verehrung gerade im Vor- und Umfeld des 250. Geburtstags am 27. Januar 2006 in den Blick nehmen und er will am Beispiel einer eingehenden Betrachtung des Streichquartetts d-Moll KV 421 Wege zu einem authentischen Verständnis von Mozarts Musik weisen.
Das Buch ist wie eine dreiteilige Liedform strukturiert. Der einleitende Essay Mythos Mozart reflektiert die problematischen Erscheinungsweisen der gängigen Mozart-Verehrung und räumt in nuce mit den populären Fehleinschätzungen der Sicht von Mozarts Leben und Werk auf. Frauchiger tut das sprachlich sehr eloquent und elegant. Er verfügt dabei ebenso über die genaue Kenntnis der wichtigen Schriften und Forschungsergebnisse zu Mozart wie über intime Einblicke in den Musikbetrieb der Gegenwart. Das macht die Lektüre seiner Gedanken für jeden Leser spannend und bedenkenswert, der sich wie Frauchiger eine kritische Distanz zu den zum Teil recht seltsamen Blüten der Mozart-Rezeption und zum heutigen Musikgeschäft bewahrt hat.
Der analoge Essay am Ende des Bandes ist Umkehrung und Ergänzung des einleitenden. In An Mozarts Geburtstag betreibt Urs Frauchiger ein apartes historisches Gedankenspiel. Er erklärt die Musikgeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Ausblendung von Mozart als Fix- oder Bezugspunkt. Der Autor tut das sehr kenntnisreich und zugleich ausgesprochen unterhaltsam und locker im Stil. Sinn der Sache ist natürlich nicht die Verleugnung von Mozarts einzigartigem Rang, sondern im Gegenteil der Versuch, diesem gleichsam durch die Hintertür auf unverstellte Art neu gewahr zu werden.
Diesen Anspruch verfolgt auch der große Mittelteil des Buchs, das Fragment über das Streichquartett in d-Moll KV 421. Frauchiger liefert keine akademische satztechnische Analyse, sondern sehr differenzierte und originelle Anmerkungen zu Faktur, Wesen und Wiedergabe dieser in Mozarts Schaffen singulären Kammermusikkomposition. Hier kommt nicht zuletzt der erfahrene Cellist Frauchiger zu Wort und das mit sehr erhellenden Gedanken zur Aufführungspraxis. Aufschlussreich sind auch die Reflexionen zum Umfeld des Werks, in dem so Constanze Mozart die Schmerzen ihrer ersten Geburt widerscheinen sollen. In der Beschreibung der musikalischen Form greift der Autor zu einer sehr individuellen, jedoch durchaus treffenden Diktion. Eine kommentierte Diskografie zu KV 421 und eine kommentierte Bibliografie runden das überaus anregende und Gewinn bringende Buch ab.
Karl Georg Berg