Kutz, Angelika

Mediation als Instrument zur Konfliktlösung im (professionellen) Orchester – Orchestermediation

Welche Besonderheiten sind zu beachten?

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Haag + Herchen, Frankfurt am Main 2007
erschienen in: das Orchester 06/2008 , Seite 57

Nachdem vor allem in den 1980er und 1990er Jahren das Gebiet der Musikermedizin eine beachtliche Entwicklung genommen hat, scheint sich jetzt ein weiterer neuer Trend abzuzeichnen. Seit kurzer Zeit sind Themen wie Personal- und Organisationsentwicklung sowie Mediation im Orchester im Kommen. Angelika Kutz (vgl. Interview in das Orchester 4/08, S. 27) führt dies auf verschiedene Faktoren zurück: Orchesterverkleinerungen und -fusionen, Stellenabbau, wechselnde Orchestermanager und Geschäftsführer führen bei den Orchestermitgliedern zu Unruhe, Existenzängsten und Frustrationen, die sich auch in zwischenmenschlichen Konflikten entladen können. Völliges Neuland, wie die Autorin meint, wird mit Orchestermediation allerdings nicht mehr betreten. Es gibt in Deutschland bereits ausgebildete Mediatoren, die aus dem Orchester- und Theaterbereich kommen und die erste Erfahrungen gesammelt haben.
Die Autorin stellt zunächst die allgemeinen Grundsätze der Mediation dar. Sodann beschreibt sie kurz die Besonderheiten der Orchesterstrukturen und -hierarchien. Bei der Aufzählung der potenziell an Konflikten im Orchesterbereich Beteiligten werden leider Personen wie Intendant, Verwaltungsdirektor, Personalleiter übersehen. Auf die allgemeine Darstellung von Konfliktarten, -ursachen, -eskalationsstufen und -wirkungen folgt die Konkretisierung für den Orchesterbereich. Es sei eben eine Besonderheit, dass der Beruf des Orchestermusikers typischerweise mit Stress verbunden sei, mit ständiger Kontrolle der Leistungsfähigkeit durch Kollegen, Dirigenten und Publikum. Kutz analysiert die spezifischen psychischen und physischen Belastungsfaktoren im Orchesteralltag.
Den Hauptteil übertitelt die Autorin mit „Orchestermediation – eine mögliche Herangehensweise“. Das lässt vieles offen und könnte bedeuten: Ich kenne mehrere Methoden, beschreibe aber nur eine, oder: Ich kenne mich auch noch nicht aus (Neuland) und taste mich heran, oder: Es gibt keine Patentrezepte. Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die „Mehrparteienmediation“, also die Konfliktlösung zwischen mehr als zwei Personen im Orchester. Hilfreich sei es, wenn die Mediatoren die Besonderheiten des Musikerberufs und der tarifrechtlichen Strukturen des Orchesters kennen. Kutz beschreibt die Vorbereitung und Durchführung der verschiedenen Phasen einer Mediation. Ob allerdings eine Mediation mit sämtlichen Musikern eines größeren Orchesters sinnvoll möglich ist, darf bezweifelt werden. Kutz erörtert schließlich an einem Beispiel, wie eine eintägige Orchestermediation ablaufen könnte.
Ein kleines Manko: In wissenschaftlichen Werken (z.B. Diplom- oder Doktorarbeiten) ist ein Fußnotenapparat mit Hinweis auf Quellen und Fundstellen Pflicht. In einem praktischen Leitfaden wirkt dies mitunter etwas deplatziert. Andererseits positiv: Der Anhang enthält Checklisten und Übersichten zu den wichtigsten Themenbereichen.
Insgesamt bietet das Buch einen guten Einstieg in das Thema und kann für betroffene Orchestermusiker, -vorstände, Betriebs- und Personalräte sowie Arbeitgebervertreter eine „erste Hilfe“ sein. Eine fundierte Mediatorenausbildung kann und will das Buch nicht ersetzen.
Gerald Mertens